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Artikel
1997
Test & Technik
Die Echtzeit-Maschine
Praxistest Canon EOS RT
Ein feststehender, teildurchlässiger Spiegel anstelle des konventionellen Schwingspiegels unterscheidet die Canon EOS RT von herkömmlichen SLR-Kameras. Über die theoretischen Vorzüge dieser Technik hat COLOR FOTO bereits berichtet. Doch was ändert sich in der fotografischen Praxis?
Eine typische Fotosituation: Ihr Kind spielt, ganz in sich versunken, im Garten. Sie wollen es fotografieren, unbemerkt und ohne Posen. Also entscheiden Sie sich für Ihr Zoom 100 - 300 mm, das auf die längste Brennweite eingestellt wird. Als das Kind mit dem kleinen Plastikeimer schwungvoll das Wasser in das Planschbecken schüttet und die Wasser tropfen in der Sonne funkeln. hat Ihr Zeigefinger schon fast von selbst auf den Auslöser gedrückt. Im selben Moment entdeckt Sie das Kleine und läuft auf Sie zu. Sie schießen rasch ein, zwei, drei, vier Bilder - der Winder macht's möglich. Ausnahmsweise läßt das Kind dann noch zwei Porträtaufnahmen zu das Zoom ist jetzt auf moderate 100 Millimeter eingestellt -, ehe es Sie zum Ballspielen abkommandiert.
Nach mehreren Tagen liegen die Dias entwickelt vor Ihnen. Schon die erste Aufnahme fällt nicht aus wie gewünscht. Das Wasser aus dem Eimer bildet nicht den glitzernden Tropfenbogen, den Sie gesehen haben, sondern landet - wie einige Spritzer beweisen - gerade im Planschbecken. Die Aufnahmen des laufenden Kindes sind nicht in Ordnung, weil bei den Bildern drei und vier die Füße abgeschnitten sind. obwohl Sie die Brennweite am Zoom nachgestellt hatten. Von den Porträts ist nur eines brauchbar, auf dem anderen sind die Augen des Kindes geschlossen. Enttäuschung macht sich breit.
Fehlersuche
Was - fragen Sie sich - ist da passiert? Nun, Sie haben natürlich für diese Art der Aufnahmen Ihre Kompaktkamera im Schrank gelassen und sich Ihrer Spiegelreflexkamera bedient. Und in der ist die Ursache aller angesprochenen Fehler zu finden. Die normale SLR nämlich ist mit einem Rückschwingspiegel ausgestattet. Das Objektiv dient als Sucherausblick, der Spiegel leitet das Licht zum Pentaprisma um, und von dort gelangt es zum Okular. Soll die Aufnahme erfolgen, klappt der Spiegel hoch. Nach der Belichtung kehrt er in seine Ausgangslage zurück. Diese Bewegung ist zunächst einmal mit Lärm verbunden, dem Spiegelschlag. Der war es, der das Kind aufmerksam machte und so einige weitere Aufnahmen aus dem Hintergrund vereitelte. Die Bewegung des Spiegels aus dem Strahlengang heraus muß natürlich abgeschlossen sein, ehe sich der Verschlußvorhang öffnen kann. Mit anderen Worten: Die Kamera wartet mit der Belichtung, bis der Spiegel hochgeklappt ist. Diese Verzögerung sorgte dafür, daß das Bild von den funkelnden Tropfen buchstäblich ins Wasser fiel.
Wenn der Spiegel hochgeklappt ist, gelangt kein Licht mehr in den Sucher. Die Dunkelpausen zwischen den einzelnen Aufnahmen machen es schwer, das Motiv während einer Aufnahmeserie exakt zu beurteilen und auf Veränderungen - etwa durch Bewegung des Motivs - richtig zu reagieren. Zudem ist der Fotograf während der Belichtung blind, er sieht nicht, daß sein Gegenüber im entscheidenden Augenblick blinzelt, zur Seite schielt oder sonst etwas tut, was der Wirkung des Bildes abträglich ist. Doch nicht nur bei Porträts, auch in der Makrofotografie kann das Schwingspiegel-Prinzip zu Problemen führen: Die Spiegelbewegung verursacht Vibrationen, die sich auf das Kameragehäuse und das Objektiv übertragen und so bei extremen Abbildungsmaßstäben zu Verwacklungen führen können.
Alles in allem ist also der Spiegel einerseits ein wichtiges Teil einer SLR, denn nur mit seiner Hilfe kann das Aufnahmeobjektiv als Sucherobjektiv eingesetzt werden. Andererseits ist die Beweglichkeit des Spiegels Anlaß für manchen größeren oder kleineren Ärger. Ein feststehender Spiegel könnte die Vorteile des Spiegelreflexprinzips bieten, ohne die Nachteile des Rückschwingspiegels aufzuweisen. Tatsächlich gibt es (wieder) eine SLR, die mit einem solchen feststehenden Spiegel ausgestattet ist: die Canon EOS RT.
Die Tatsache, daß in ihrer Typenbezeichnung keine Nummer vorkommt, weist der EOS RT einen Platz außerhalb der normalen EOS-Familie zu. Tatsächlich sollen weltweit nur etwa 20000 Exemplare dieser Kamera angeboten werden, was bei Kamerasammlern wohl einen gewissen Kaufreiz auslösen dürfte. Allerdings hat die Canon EOS RT es nicht verdient, nur als Objekt der Sammlerbegierde erworben zu werden. Die Vorteile, die die etwa 1800 Mark teure EOS RT zu bieten hat, machen sie eher zu einer Praxis-Kamera als nur zu einem Vitrinen-Schaustück. Dazu trägt unter anderem das sehr handliche und gut ausgewogene Gehäuse bei, wie man es von den 600er Modellen der EOS-Reihe kennt.
Sofort-Bild a la Canon
Dreht man den Hauptschalter der EOS RT in die RT-Position wählt man die minimale AusIöse-Verzögerung 0,008 Sekunden (= acht Millisekunden = 8/1000 Sekunden). Gleichzeitig wird die AF-Funktion auf "one shot" eingestellt, Auslösen ist also nur nach erfolgter Scharfstellung möglich. Das Akustik-Signal ist außer Betrieb.
Apropos Akustik: Man nimmt die auf "RT" eingestellte Kamera ans Auge, tippt den Auslöser an und hört im selben Moment ein Geräusch, das an einen Verschlußablauf erinnert. Man nimmt den Zeigefinger vom Auslöser und denkt, man hätte ein Bild im Kasten. Aber weit gefehlt - das Geräusch rührt von einer Meßzelle her, die ihren Platz im Kameraboden hat und vor der Belichtung weggeklappt werden muß. Der Auslöser muß also bis zum Anschlag durchgedrückt werden, damit eine Belichtung erfolgt. Die Verzögerung zwischen dem Druck auf den Auslöser und dem Start des Verschlußablaufes ist so minimal, daß kein wichtiger Augenblick mehr verlorengehen dürfte.
Lob der Unbeweglichkeit
Daß so wenig Zeit zwischen dem Auslösen und dem Belichten vergeht, liegt am Spiegel, der in der EOS RT unbeweglich ist und selbst während der Belichtung einen Blick aufs Motiv erlaubt. Dieser Blick wird allerdings bei der Mehrzahl der Aufnahmen etwas getrübt werden immer dann, wenn das Bild nicht mit ganz offener Blende gemacht wird. Dann ist sichtbar, wie die kleinere Blende den Lichtfluß - zwischen Objektiv und Film mindert und die Schärfenzone größer wird.
Der Spiegel bewegt sich natürlich auch dann nicht, wenn man den Hauptschalter statt auf "RT" auf "A" stellt. Die Auslöseverzögerung der EOS RT beträgt dann ganz normale 110 Millisekunden, wie sie auch andere SLR-Kameras zu bieten haben. Überhaupt wird die EOS RT in der Betriebsart "A" im großen und ganzen zu einer EOS 600 mit feststehendem Spiegel.
Keine spürbaren Verluste
Der feststehende Spiegel teilt das vom Objektiv kommende Licht so auf, daß 35 Prozent in den Sucher und 65 Prozent zum Film (beziehungsweise zum Verschluß) gelangen. Da die Belichtungsmessung - auch für entsprechende Blitzgeräte hinter dem Spiegel vorgenommen wird, sind Fehlbelichtungen nicht zu befürchten, solange die Kamera für die Belichtung sorgt und der Fotograf sich nach ihren Vorgaben richtet.
Wer mit Handbelichtungsmessern, Blitzbelichtungsmessern oder Blitzgeräten mit manueller oder Computersteuerung arbeitet, muß dagegen um zwei driftet Blendenstufen reichlicher belichten, als seine Geräte ihm das vorgeben. Um das lästige Korrigieren bei jeder Aufnahme zu vermeiden, empfiehlt es sich, am Meßgerät oder Blitz einfach die Filmempfindlichkeit um zwei drittel Blendenstufen niedriger einzustellen (also beispielsweise auf ISO 64/19xGRADx, wenn mit einem ISO 100/21xGRADx-Film gearbeitet wird) und die so gewonnenen Daten unkorrigiert zu übernehmen. Ansonsten stellen die durch den teildurchlässigen Spiegel um etwa 30 Prozent reduzierte Lichtstärke des Objektivs und die um zirka 70 Prozent reduzierte Helligkeit des Suchers in der Praxis absolut keine Probleme dar.
Etwas anderes macht größere Sorgen. Man verzichtet auf Filter, da ein zusätzliches Planglas die Leistung eines Objektivs nicht verbessern kann. Im günstigsten Fall ist der negative Einfluß des Filters vernachlässigbar gering, manchmal beeinträchtigt er das Bildergebnis. Der Spiegel der EOS RT ist nun nicht nur eine planparallele Glasfläche im Strahlengang, er steht zudem auch noch in einem Winkel von 45xGRADx zur optischen Achse. Die Bedenken sind aber überflüssig: Die mit der EOS RT aufgenommenen Bilder sind bei normaler Betrachtung nicht schlechter als die mit einer EOS-1 geschossenen Aufnahmen.
Maßgeschneiderte Kamera
Hier noch einige nennenswerte Merkmale, in denen sich die EOS RT von der EOS 600 unterscheidet. Neben der Vollautomatik (grünes Symbol) entfallen bei der EOS RT auch die Programmautomatiken. Für eine Kamera wie diese ist das kein Beinbruch. Hinzu kommen, neben den sieben Individualschaltungen der EOS 600, acht neue Möglichkeiten, bestimmte Funktionen zu ändern:
1. Es kann von Mehrfeldmessung auf mittenbetonte Integralmessung umgeschaltet werden. Das ist besonders dann von Interesse, wenn man die EOS RT parallel zu einer älteren Canon einsetzt und in derselben Situation dieselbe Belichtung haben möchte.
2. Die Synchronisationszeit bei Aufnahmen mit Zeitautomatik kann auf 1/125 Sekunde festgestellt werden. Verzichtet man darauf, stellt die EOS RT die Zeit passend zur Umgebungshelligkeit ein. Das führt zwar zu Aufnahmen mit ausgeglichener Belichtung von Blitzmotiv und Hintergrund, bei dunklem Hintergrund werden aber durchaus auch Langzeiten eingesteuert.
3. Der kontinuierliche Filmtransport kann per Druck auf die LCD-Monitor-Beleuchtungstaste eingeschaltet werden und
4. der kontinuierliche Filmtransport ist auf Dreier-Serien beschränkbar. Gebraucht man beide Zusatzfunktionen zugleich, kann man die Dreier-Serie ohne Unterbrechung in eine Sechser-, Neuner-, Zwölfer- bis zur 36er-Serie verlängern.
5. Der Filmtransport kann verzögert werden, bis der Auslöser freigegeben wird.
6. Die Mehrfachbelichtungsfunktion muß nicht automatisch nach der letzten Aufnahme aufgehoben werden.
7. Die Auslöseverzögerung kann auf 40 Millisekunden eingestellt werden kann. Mit dieser Funktion wird die ultrakurze Verzögerung von acht Millisekunden im RT-Modus auf jene Zeitspanne verlängert, die auch bei der F- IN zwischen Auslösen und Aufnahme vergeht.
8. Mit nur einer Einstellung können alle Sonderfunktionen außer Betrieb gesetzt werden.
Fazit
Alles in allem ist die Canon EOS RT eine Kamera, die nur wenige Hobbyfotografen für sich verwenden können - 20000 Exemplare weltweit für je zirka 1800 Mark sprechen gegen eine weite Verbreitung. Dabei ist die EOS RT in ihrer Ausstattung eine wirklich gelungene Spiegelreflexkamera, mit der zu fotografieren eine ungetrübte Freude ist. Es bleibt zu hoffen, daß der feststehende Spiegel auch für andere EOS-Modelle übernommen wird.
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