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Artikel

1997

Sammlerkamera des Monats: 

Voigtländer Bessamatic

Verschlußsache

Vor dreißig Jahren erschien die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera von Voigtländer. Die Bessamatic avancierte sofort zum großen Verkaufserfolg. Dennoch war der Kamera keine lange Zukunft beschieden. Der Grund dafür lag in ihrer Konzeption als Zentralverschlußkamera.

Ende der fünfziger Jahre wollten die großen deutschen Kamerahersteller nicht wahrhaben, daß sie veralteten Konzeptionen nachhingen. Leica klammerte sich an die Meßsucherkamera, Rollei wollte das Prinzip der Zweiäugigen nicht aufgeben, Kodak, Voigtländer und Zeiss-Ikon bewiesen zwar Mut zur Spiegelreflexkamera, trauten sich aber nicht, den neuen Weg konsequent zu gehen. Der Zentralverschluß wurde auch beim neuen Konzept zum Glaubensbekenntnis erhoben, obwohl Edixa es schon seit Jahren allen vormachte. Erst in Verbindung mit dem Schlitzverschluß konnte das Spiegelreflexprinzip seine Vorzüge voll zur Geltung bringen. Der braucht nämlich nur einmal in die Kamera und nicht in jedes Wechselobjektiv eingebaut zu werden. Außerdem läßt sich nur mit ihm die kurze Verschlußzeit von 1/1000 Sekunde realisieren.
Trotzdem hat dieser Eigensinn zumindest einen Vorteil: Die Spiegelreflexkamera mit Zentralverschluß für den Kleinbildfilm machte als typisch westdeutsche Konstruktion Kamerageschichte. Zwar gilt die Contaflex von Zeiss-Ikon als populärste und vielleicht auch konsequenteste Vertreterin dieses Konzepts, weil bei dieser Kamera nur die Objektivköpfe gewechselt wurden und der Zentralverschluß an der Kamera verblieb aber die Bessamatic hat ihre besonderen Vorzüge. Wie bei allen Voigtländer-Kameras dieser Epoche ist die Material- und Verarbeitungsqualität der Bessamatic über jeden Zweifel erhaben. Diese Solidität drückt sich natürlich im Gewicht aus. Die Kamera wiegt mit dem Standardobjektiv Color Skopar 2,8/50 mm 900 Gramm.
Ihr besonderes Augenmerk richteten die Voigtländer-Konstrukteure auf ein helles Sucherbild. Dank einer ungewöhnlich hellen Fresnellinse mit Schnittbild-Entfernungsmesser übertraf die Bessamatic in dieser Disziplin ihre Konkurrentinnen, die Contaflex und die Kodak Retina Reflex. Um den Belichtungsabgleich vorzunehmen kann man die Kamera sogar am Auge behalten der Nachführzeiger ist im Sucher deutlich sichtbar eingespiegelt. Im Jahre 1959 war dies noch eine Besonderheit. Die markanten Selenzellen über dem Objektiv signalisieren allerdings deutlich, daß die Bessamatic bei allem Fortschritt im Detail einer frühen Generation von Spiegelreflexkameras angehört, die noch auf die zuverlässigere Innenmessung durch das Objektiv verzichten mußte. Auch einen Rückschwingspiegel sucht man vergebens. Nach dem Auslösen bleibt das Sucherbild bis zum erneuten Spannen des Verschlusses dunkel. Alle diese Vorbehalte bedeuten allerdings nicht, daß eine Bessamatic heutzutage nicht mehr zum Fotografieren taugt. Selbst nach dreißig Jahren ist der Erwerb einer solchen Kamera kein Risiko. Die hohe Präzision, ihre Robustheit und die ausgezeichneten Objektive führen zu Bildresultaten, die beeindrucken. Geringfügige Einschränkungen im Bedienungskomfort können engagierte Fotografen nicht davon abhalten, die Bessamatic häufig zu benutzen, weil sie gut in der Hand liegt, leise ist und außergewöhnlich scharfe und kontrastreiche Aufnahmen macht - wenn nicht gerade das erste Zoomobjektiv der Welt für Kleinbild-Spiegelreflexkameras adaptiert ist. Das Voigtländer-Zoomar 2,8/36 - 82 mm gilt zwar als Rarität in Sammlerkreisen, für scharfe Aufnahmen taugt es aber nur bei starker Abblendung. Die Festfokus-Palette zur Bessamatic von 35 bis 350 mm Brennweite läßt dagegen hinsichtlich der Abbildungsqualität keine Wünsche offen. Im Laufe ihrer Produktionszeit investierte Voigtländer einiges an Modellpflege in seine Spitzenkamera. Ab 1965 erscheinen Verschlußzeit und Blende im Sucherbild, 1967 bekommt die Kamera als Bessamatic CS die längst fällige TTL-Blitzmessung spendiert. Allerdings sind die letzten beiden Modelle sehr selten im Gebrauchtangebot zu finden; die Stückzahlen der Kamera gingen mangels Konkurrenzfähigkeit ab 1963 stetig zurück. Unnötiger Wettbewerb im eigenen Hause entstand zudem auch durch die neue Ultramatic, die von Voigtländer über der Bessamatic plaziert wurde, ohne daß sie entscheidende Vorzüge zu bieten gehabt hätte.
Eine gut erhaltene Bessamatic I kostet mit Color Ultron 2,8/ 50 mm etwa 200 bis 250 Mark. Das entspricht weit weniger als der Hälfte des damaligen Neupreises, was daran liegt, daß die frühen Spiegelreflexmodelle aus deutscher Produktion generell wenig begehrt sind. Außerdem lief dieses Modell in sehr großen Stückzahlen vom Band. Technisch einwandfrei sollte die ausgewählte Bessamatic schon sein denn die komplizierte Übertragungsmechanik dieser Kameraart macht Reparaturen teuer. Interessenten sollten auch darauf achten, ob die Selenzellen nicht verbraucht sind. Für die Firma Voigtländer war die Bessamatic der letzte große Erfolg vor der Krise, die mit der Fusion mit Zeiss-Ikon 1967 nur ihr vorläufiges Ende fand.

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