← Zurück
Artikel
1997
Beratung
Lebende Legenden
Zwei Kameraklassiker von Rollei und Hasselblad im Vergleich
Heute, im Zeitalter computergesteuerter High-Tech-Spiegelreflexkameras, wirken sie wie ein Anachronismus. Eine gelungene Synthese von Feinmechanik und Präzisionsoptik ist alles, was sie zu bieten haben. Doch Hasselblad 500 C/M und Rolleiflex 2,8 schrieben Kamerageschichte und stehen auch heute noch bei Profis hoch im Kurs. Mit ihnen zu fotografieren ist Herausforderung und Vergnügen zugleich. Wir gingen der Frage nach, ob die Klassiker noch zeitgemäß sind
Man ist in der Regel nicht schlecht beraten, wenn man anspruchsvolle Produkte aus dem Hause des Erfinders kauft. Das Auto von Mercedes-Benz, die Kleinbildkamera von Leica, den Füllhalter von Waterman, die Armbanduhr von Patek Philippe und die Rollfilmkamera von Rollei. Zwar gab es vor der Einführung der legendären zweiäugigen Rolleiflex im Jahre 1929 schon eine Menge Klapp- und Boxkameras, die den von Kodak-Pionier George Eastman erfundenen Film benutzten. Doch erst das neue Konzept einer Spiegelreflexkamera mit getrenntem Sucher- und Aufnahmeobjektiv, von Reinhold Heidecke entwickelt, verhalf dem Rollfilm zum Durchbruch. Damals steckte die Kleinbildfotografie noch in den Kinderschuhen, es dominierte das Großbild, an dessen selbst bei einfacher Kameratechnik hervorragender Qualität sich die Newcomer messen lassen mußten.
Der Dresdner Curt Bentzin erkannte in den dreißiger Jahren die Achillesferse des zweiäugigen Prinzips, die nicht in der Parallaxe, das heißt im unterschiedlichen Bildausschnitt von Aufnahme- und Sucherobjektiv, liegt - sie wird automatisch ausgeglichen -, sondern in der starren Brennweite. Wechseln lassen sich nämlich weder Objektive noch Magazine. Die Primarflex aus Dresden muß Victor Hasselblad, Sproß eines reichen schwedischen Handelshauses, nachhaltig inspiriert haben. Sein größter Wurf war die 500 C von 1957, unmittelbarer Vorfahre der heutigen 500 C/M Classic. Trotz 8 000 Verbesserungen in 30 Jahren sehen sich 500 C und 500 C/M zum Verwechseln ähnlich.
Nach dem Krieg gab es die Rolleiflex in zahlreichen Varianten. Als Spitzenmodell galt in den fünfziger Jahren die Rolleiflex 2,8 E mit dem legendären Planar-Objektiv. In jener Zeit waren Rollei und Hasselblad erbitterte Konkurrenten, wenn es um die Ausstattung der Mode- und Gesellschaftsfotografen jener Tage ging. Es gab damals kaum eine Pressekonferenz, bei der nicht Scharen von Fotografen die Rolleiflex und die Hasselblad wie eine Uniform trugen. Diese Mittelformat-Fraktion hatte nur Konkurrenz von ein paar oppositionellen Leica-Anhängern, ersten Vorboten der Kleinbild-Revolution im Bildjournalismus, die von den Japanern in Gestalt der Nikon F und der Pentax Spotmatic mächtig angeheizt wurde. Während sich die Hasselblad als handliche Studio- und Filmkamera dank Wechselmagazinen und einer großen Objektivpalette ihren Platz in der anspruchsvollen Fotografie sichern konnte, schienen die Tage der Rolleiflex gezählt zu sein. Die Zeit hatte sie offenbar überlebt, daran änderten auch Varianten wie die Tele- und Weitwinkel-Rolleiflex wenig. Immerhin blieben ihr die anspruchsvollen Hobbyfotografen treu und sicherten mit ihrer Nachfrage die Produktion bis zum Rollei-Konkurs 1981.
Aber die Zweiäugige feierte ebenso glanzvoll Auferstehung wie das schon mehrfach totgesagte Unternehmen: Zunächst in limitierten Auflagen, gold- oder platinbeschichtet, dann ganz serienmäßig als verbesserte 2,8 GX ab 1986 mit Innenmessung auch für Blitzaufnahmen. Zum 60jährigen Jubiläum der Zweiäugigen erschien 1989 in begrenzter Auflage von 1000 Stück die 2,8-GX-Edition. Sie ist mit wertvollem Eidechsleder bezogen und trägt an der Stirnseite eine vergoldete Plakette mit dem Originalschriftzug von 1929. Der Preis wurde, angesichts dieser Maßnahmen noch recht moderat, von 2 800 auf 3 300 Mark angehoben.
Im Gegensatz zur 2,8-GX-Edition ist die Hasselblad 500 C/M Classic weder limitiert noch veredelt, es gibt sie für Hasselblad-Einsteiger inklusive Magazin A 12 und Planar 2,8/80 mm sogar zum Sonderpreis von 4488 Mark. Die Unterschiede in Preis und Präsentation setzten sich in der Technik fort, beide Kameras gehorchen völlig unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien. Die Hasselblad verkörpert eine Art variables Baukastensystem.
Rolleiflex: TTL-Belichtungsmessung
Sucher, Objektiv und Magazin können vom eigentlichen Kamerakörper getrennt werden. Bei der Rollei lassen sich nur der Sucher wechseln und die Rückwand austauschen. Die Hasselblad eignet sich aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit für alle Aufnahmebereiche von der Mikro- bis zur Sportfotografie, das Arbeitsspektrum der Rollei ist auf die klassischen Anwendungsgebiete wie Porträt, Landschaft oder Architektur beschränkt. Eine Nahlinse erweitert den Einstellbereich von einem Meter auf 60 Zentimeter. Ein wichtiger Vorzug der Rolleiflex gegenüber der Hasselblad ist die integrierte Belichtungsmessung durch das Objektiv, wodurch sich der Erwerb eines recht kostspieligen TTL-Prismas erübrigt.
Trotz der unterschiedlichen Konzeption, hinter der sich bei den Herstellern geradezu eine Weltanschauung verbirgt, haben die Kameras auch Berührungspunkte. Beide operieren mit einem Zentralverschluß, der für alle Belichtungszeiten blitzsynchronisiert ist und den gleichen konstruktiven Aufbau zeigt. Beide Kameras offerieren die Vorzüge des klassischen Mittelformats 6x6 Zentimeter. Aufgrund der großen Negativfläche kann der Bildausschnitt frei gewählt werden. Nur zwölf Bilder auf dem 120er Rollfilm erziehen ebenso zum bewußten Sehen wie der Blick durch den Faltlichtschacht. Beide Kameras machten Geschichte. Die Rollei prägte die Sehweise ganzer Fotografen-Generationen und bewies, daß man auch ohne Wechselobjektiv zu interessanten Perspektiven gelangen kann, wenn der Fotograf ein Auge dafür hat.
Als Systemkamera konzipiert: Hasselblad
Die Hasselblad gelangte in Grenzbereichen der Fotografie zu Ruhm und Ehre. So wurde die aufgehende Erde aus der Sicht der Mondfahrer mit Hasselblad-Fotos gezeigt, und die Entwicklung eines Fötus im Mutterleib dokumentierte Lennart Nilsson ebenfalls mit einer Hasselblad.
Dennoch - vom Charakter her trennen die beiden Kameras Welten. Die Rolleiflex empfiehlt sich Besitzern einer umfangreichen Kleinbildausrüstung, die eine präzise Zweitkamera für die bildgestalterische Kür wünschen. Das unaufdringliche Erscheinungsbild der Kamera, gepaart mit dem leisen Auslösegeräusch, machen das Fotografieren mit ihr zu einer Art höheren Weihe. Die Hasselblad dagegen will als Systemkamera benutzt werden. Zwar ist sie bereits in der Grundausstattung faszinierend genug, doch der Verzicht auf zumindest ein Objektiv neben der Standardbrennweite oder auf wenigstens ein Wechselmagazin hieße, Möglichkeiten zu verschenken und das Konzept zu verleugnen. Der Hasselblad-Prospekt sagt es treffend: "Eigentlich wollten Sie sie schon immer haben. " Eine Aussage, die sich getrost auch auf die Rolleiflex übertragen läßt. Freuen wir uns, daß es im Zeitalter der hochtechnisierten Kamera-Uniformität noch Werkzeuge zum Bildermachen gibt, die Stil verraten.
{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}