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Artikel

1997

Beratung

Das doppelte Lottchen

Welche Minolta X-300 ist besser, die aus Japan oder die aus China?

Die Minolta X-300 wird in den Shanghai-Kamerawerken als Seagull DF-300 in Lizenz gefertigt. Hat die Seagull das Zeug, ihrem Vorbild Konkurrenz zu machen, oder ist die sprichwörtlich hochwertige japanische Kamerafertigung überlegen? COLOR FOTO machte die Probe aufs Exempel.

Beide Schwestern kommen aus dem gleichen Haus und sehen sich ähnlich wie Zwillinge. Trotzdem wird die Erstgeborene bevorzugt und die jüngere wie ein Stieflkind behandelt. Weil das ungeliebte Kind woanders aufwuchs, muß es auch einen anderen Namen tragen. Von seinen Eltern wird es verleugnet. Was sich zunächst anhört wie ein Märchen, ist bei Minolta Realität. Das Spiegelreflex-Einsteigermodell X-300 läuft nicht nur in Osaka vom Band, sondern auch in der chinesischen Hafenstadt Shanghai. Dabei handelt es sich bei der bis in die letzte Schraube nachgebauten Seagull DF-300 keineswegs um Industrie-Piraterie, sondern vielmehr um ein offizielles Minolta-Lizenz-Produkt, wie es die Gravur im Memohalter der Seagull-Rückwand Skeptikern bestätigt. Selbst bei genauer Betrachtung stellt ein Fachmann, abgesehen vom Schriftzug, dem anders beschichteten Griffstück auf der Frontseite und einer differierenden Objektivgravur und -vergütungsfarbe, keine Unterschiede fest. Sogar das Verpackungsdesign und die Gestaltung der Bedienungsanleitung empfanden die Chinesen dem Vorbild nach.
Einzig Minolta Deutschland und der oberste Statthalter in Ahrensburg, Dietmar Franken, bestreiten offiziell die Baugleichheit der beiden Kameras. Franken stellt mit lapidarer Ignoranz in einer offiziellen Verlautbarung fest: "Es gibt keine Minolta X-300 Made in China." ImText heißt es weiter: "Die Seagull DF-300 ist keinesfalls eine Minolta X-300 Made in China." Die Begründung, warum sie dies bei aller Ähnlichkeit oder besser Gleichheit nicht ist, bleibt uns Dietmar Franken allerdings schuldig.
Stein des Anstoßes und Ursache für den Minolta-Präventivschlag gegen die unliebsame Konkurrenz ist der plötzliche Vorstoß der Seagull DF-300 auf dem deutschen Markt. Importeur Leonhard Brenner, mit China-Kameras schon seit Jahren dank seiner Risikobereitschaft und seines sicheren Gespürs für Nischenprodukte gut im Geschäft, bietet die Minolta Seagull, die "Möwe", zur Abrundung seines Programms. in Deutschland an.

Die Kamera aus China ist kaum billiger

Natürlich ist eine DF-300 mit Standardobjektiv billiger als eine X-300, aber man ist überrascht, wie gering der Preisunterschied ist. Er beträgt noch nicht einmal 50 Mark. Sieht Dietmar Franken denn aufgrund einer solch lächerlichen Differenz die Verkaufszahlen der X-300 in Gefahr? Wie schlecht muß es da um die Zugkraft des Minolta-Markenprestiges bestellt sein? Trotz aller vorher geäußerten Dementis liest sich der Satz "Diese Kamera (gemeint ist die Seagull DF300) sollte hauptsächlich auf dem chinesischen Markt vertrieben werden" wie ein Eingeständnis: Was ursprünglich ein lukratives Lizenzgeschäft war, entpuppt sich jetzt, da die Kamera nach Deutschland kommt, zum unerwünschten Bumerang.
Leonhard Brenner versteht die heftige Reaktion aus Ahrensburg erst recht nicht. "Eine Garantie und Reparaturmöglichkeiten stellen wir natürlich selbst sicher. Außerdem halte ich es für realitätsfremd, die Herkunft der Kamera trotz des Aufdrucks "Licensed by Minolta" zu bestreiten. Dem Käufer kann ein solches Gerangel letztlich egal sein. Er entscheidet sich im Zweifelsfall für das bessere Produkt.
Wer die Seagull-Rollfilmkameras kennt, der wird sich über die perfekte Verarbeitung des DF-300-Body wundern, bei dem offenbar nach strengsten japanischen Qualitätsstandards gearbeitet wurde. Das Gehäuse ist genauso exakt verarbeitet wie das Original, lediglich das Objektiv stellt ein Problem dar: Der Schneckengang läuft nicht ganz reibungslos und hat etwas Spiel. Auch der Antireflexbelag im Innern wurde nicht so sorgfältig aufgetragen wie beim Original. Trotz unterschiedlicher Angabe der größten relativen Blendenöffnung (Minolta 1,7; Seagull 1,8) sind die Objektive optisch gleich - offenbar nutzt man die DIN-Toleranz zu Tarnzwecken. Auch die Gravuren sind bei der chinesischen Version nicht so sorgfältig ausgeführt. Das Sucherbild wirkt beim China-Modell nicht ganz so brillant. Aufnahmen mit beiden Kameras ergaben in Schärfe und Kontrast keine Unterschiede, allerdings ist das in Shanghai gefertigte Objektiv etwas streulichtempfindlicher. Leonhard Brenners einzige Sorge um den Verkaufserfolg der Seagull DF-300 gilt dem geringen Preisunterschied zum Original. Nur fünfzig Mark rechtfertigen es, eher zur Minolta zu greifen, des besseren Objektivs wegen und als "Alibi" für Markenbewußte. Allerdings dürften die Tage der X-300 gezählt sein, weil die X-300 s bereits angekündigt ist und sicherlich teurer sein wird als das - preislich offenbar stark subventionierte - bisherige Einstiegsmodell. Für 398 Mark stellt die Seagull DF-300 jedenfalls ein gutes Angebot in der Einsteigerklasse dar.

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