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Artikel
1997
Spezial Mittelformat
Liebenswerte Sonderlinge
Zwei ungewöhnliche 6x6-Kameras von Mamiya
Mamiya feiert in diesem Monat sein 50jähriges Firmenjubiläum und ordnet sein Programm neu. Die Universal 6x9 verschwindet, die C 330S Professional jedoch bleibt. Ihr Prinzip der zweiäugigen Kamera mit Wechselobjektiven begründete schließlich den Mamiya-Durchbruch in den sechziger Jahren. Ganz anders, nämlich als Meßsucherkamera, dafür aber nicht weniger individuell, kommt die Mamiya 6 daher, Mamiyas neue Hoffnung für die neunziger Jahre.
Für Rollei war es offenbar ein Sakrileg, die berühmte Zweiäugige, originäre Franke und Heidecke-Konstruktion und Trägerin des weltberühmten Firmenimages, mit Wechselobjektiven zu versehen. Statt dessen schufen die Braunschweiger zwei Varianten mit festeingebautem Tele- und Weitwinkelobjektiv. Mamiya, genau wie alle Japaner der ersten Stunde auf das Kopieren deutscher Kameras bedacht, ließ es bei seinen ersten Zweiäugigen ebenfalls bei der starren Optik bewenden, erkannte aber schnell den Pferdefuß der Rollei-Konstruktion und handelte. Die Zweiäugige mit Wechselobjektiv wurde 1957 vorgestellt und machte der Rollei eifrig Konkurrenz - und Mamiya zum weltweit respektierten Kamerahersteller.
Die Mamiya C 330 S Professional gilt als letzter Nachfahre dieses Prinzips. Sie wurde in vielen Details perfektioniert. Die Typenbezeichnung "Professional" trägt nicht, wie häufig üblich, dem modischen Trend nach Prestige-heischenden Namen Rechnung. Hier trifft sie voll zu, denn nicht nur das Objektivprogramm, sondern auch das ganze umfangreiche Systemzubehör wurde auf die Belange von Berufsfotografen abgestimmt, für die eine Mamiya C 330 in früheren Jahren den Einstieg in das Mittelformat bedeutete. Sucher und Einstellscheiben der Kamera sind wechselbar, der sogenannte CdS-Porroflexsucher ist mit einem Belichtungsmesser ausgestattet. Nicht weniger als acht Einstellscheiben lassen sich auf verwendete Brennweiten und fotografisches Aufgabenfeld abstimmen. Pistolengriff und Auslöserhandgriff erleichtern die Kamerahaltung in ungewöhnlichen Fotografiersituationen. Neben der Wechselfassung für die Objektive besticht die Mamiya C 330 S durch eine weitere konstruktive Besonderheit.
C 330 - vielseitiger als die Mamiya 6
Die Objektivstandarte ist an einem Balgengerät befestigt, über das fokussiert wird, bei der Rollei wird dagegen die starre Objektivträgerplatte über einen Zahntrieb bewegt. Der Vorteil liegt in einem besonders langen Auszug und in der damit verbundenen Möglichkeit, problemlos Nahaufnahmen zu machen. Mit dem Standardobjektiv 2,8/80 mm läßt sich daher bei der kürzesten Einstellentfernung von etwa 35 Zentimetern ein Abbildungsmaßstab von 1:4 realisieren. Weil bei der Kamera die Belichtung nicht durch das Objektiv gemessen wird' muß man bei der Auszugsverlängerung einen Verlängerungsfaktor berücksichtigen, der im Sucher angezeigt wird. Die Mamiya C 330 S war wegen ihrer Vielseitigkeit einst ein begehrtes Arbeitsgerät, heute spielt sie die Rolle eines liebenswerten Exoten mit hohem pädagogischen Effekt, denn die Grundbegriffe der Fotografie lassen sich mit ihr vorzüglich entdecken - nicht zuletzt dank der sieben Wechselobjektive von 55 bis 250 Millimeter Brennweite.
Nur drei Objektive bilden das 6-System
Von gänzlich anderem Charakter präsentiert sich die Mamiya 6. Sie beschränkt sich auf das Wesentliche. Ihre Domänen sind die Reise- und Reportagefotografie. Dafür sind die drei Objektive, ein 3,5/75 mm, ein 4/150 mm und ein 4,5/50 mm, vom Angebot her voll ausreichend und in der Güte ausgezeichnet. Wie die Leica M 6 verkörpert sie das exklusive Meßsucherprinzip, das besonders exaktes Scharfstellen bei schlechten Lichtverhältnissen ermöglicht. Allerdings machten die Mamiya-Konstrukteure bei der konservativen Konzeption auch ein paar Zugeständnisse an die Moderne. Der Zentralverschluß in den Objektiven ist elektronisch gesteuert, eine Zeitautomatik ermöglicht rasches Reagieren auf Schnappschuß-Situationen. Das Auslösogeräusch ist kaum wahrnehmbar, auch dies erinnert an die Leica - ebenso wie der stolze Preis von 3800 DM inklusive Standardobjektiv. Damit ist dem Mamiya-6-Fotografen Exklusivität sicher, genauso wie dem Besitzer einer C 330 S. Bei ihr steht der Preis einer großen Verbreitung nicht im Wege, denn sie kostet nur 1500 Mark. Eher verhindert eine heutzutage skurril anmutende Technik höhere Verkaufszahlen. Die C 330 S ist eben der sprichwörtliche Geheimtip für die wenigen Puristen, die eine hochwertige, äußerst robuste und langlebige Mittelformatkamera zum Preis einer modischen Spiegelreflexkamera erwerben wollen. Sie läßt sich dank des umfassenden Systems außerdem vielseitig einsetzen, und die Objektive sind, obwohl doppelt vorhanden, erschwinglich.
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