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Artikel
1997
Spezial Mittelformat
Generationskonflikt
Vergleich: M 645 Super und Zenza Bronica ETRSi
In der umkämpften 4,5 x 6-Zentimeter-Klasse stehen sich zwei Rivalen gegenüber. Die Mamiya M 645 Super ist mit Abstand die meistverkaufte Kamera im kleinen Mittelformat, die Zenza Bronica ETRSi spielt die Rolle des attraktiven Außenseiters. Welche ist der bessere Kauf?
Wenn allein die Verkaufszahlen den Maßstab für die Qualität eines Produkts bestimmten, wäre das Rennen zwischen der Mamiya und der Zenza Bronica schon gelaufen. In der Publikumsgunst liegt die Mamiya M 645 Super um Längen vorn, und zwar etwa im Verhältnis eins zu acht. Ist die Bronica aufgrund mangelnder Qualitäten zu einem Schattendasein verurteilt? Oder spielt das fortgeschrittene Alter der Kamera eine Rolle? Immerhin liegen zehn Jahre zwischen dem Erscheinen der Zenza Bronica ETRS (1976) und dem Debüt der Mamiya M 645 Super ( 1986), und bei einer Gegenüberstellung beider Modelle ist diese Tatsache unübersehbar. Auch wenn die kleine Bronica im letzten Jahr in wichtigen technischen Punkten renoviert wurde, bleibt ein mittlerer Generationskonflikt nicht aus. Schon im Design wird der Altersunterschied deutlich: Die glatten, abgerundeten Formen der Mamiya mit weitgehend integrierten Bedienungselementen stehen im Kontrast zur kantigen Linienführung der siebziger Jahre, von der die Zenza Bronica geprägt ist.
Doch auch jenseits formaler Betrachtungen entpuppen sich beide Kameras als Geräte unterschiedlichen Charakters. Die Zenza Bronica folgt mit ihrem Zentralverschluß der konventionellen Bauweise von Mittelformatkameras, während sich die Mamiya 645 Super technisch mehr an Kleinbildkameras anlehnt, wie der Schlitzverschluß beweist. Praktisch hat dies den Vorzug der kurzen Verschlußzeit von 1/1000 Sekunde.
Beide Kameras sind elektronisch gesteuert. Ihre Talente schöpfen sie aber erst mit dem als Zubehör lieferbaren AE-Prisma aus, denn dies ermöglicht nicht nur die Belichtungsmessung, es verwandelt die Kameras gleichzeitig in Zeitautomaten. Der Mamiya-Prismensucher wartet allerdings mit einer besonderen Finesse auf. Er schaltet, je nach Motivkontrast, im Sinne einer optimalen Belichtung automatisch von mittenbetonter Integralmessung auf Spotmessung um. Natürlich kann der Fotograf eine der beiden Meßmethoden auch fest vorwählen - eine Bevormundung durch die Elektronik findet also nicht statt.
Zwei Meßmethoden bei der Mamiya
Gerade die Wahlmöglichkeit zwischen Integral- und Spotmessung stünde der Zenza Bronica gut zu Gesicht, zumal sie als ETRSi bereits über eine TTL-Blitzmessung verfügt. Als Zentralverschlußkamera mit extrem kurzen blitzsynchronisierten Zeiten steht ihr dieser Fortschritt ausgezeichnet zu Gesicht. Eine Meßzelle im Spiegelkasten mißt das von der Filmoberfläche reflektierte Licht und steuert die Blitzdauer des Elektronenblitzgerätes über den entsprechenden SCA-Adapter. Diesen Fortschritt hat selbst die Mamiya nicht zu bieten, für die es übrigens Zentralverschlußobjektive im überaus reichhaltigen Objektivprogramm gibt, das sogar Spezialitäten wie Zoom-, Weichzeichner- und apochromatisch korrigierte Objektive umfaßt und damit erheblich umfangreicher ist als die Bronica-Palette.
Trotz ihrer unterschiedlichen Konzeption gibt es auch Parallelen. Beide Kameras verfügen über ein Wechselmagazin. Dies ermöglicht nicht nur den schnellen Wechsel unterschiedlicher Filmarten und -empfindlichkeiten. Sogar Kleinbildfilm und Polaroid-Material kann man bei beiden Kameras über das entsprechende Magazin adaptieren. Bei der Bronica steht dem Fotografen noch das Panorama-Kleinbildformat 24 x 54 Millimeter zur Verfügung. Bei beiden Kameras läßt sich im Interesse verwacklungsfreier Aufnahmen bei längeren Verschlußzeiten der Spiegel vorauslösen.
Beide Kameras haben ihre Probleme mit Hochformataufnahmen. Sie sind nur mit dem Prismensucher möglich und zwingen zu einer unbequemen Kamerahaltung. In beiden Fällen sorgt ein Motor für schnelle Bildserien. Dieses Zubehör läßt sich bei der Mamiya harmonischer anpassen. Dafür ist aber der etwas unorganisch untergebaute Bronica-Motor erheblich leiser, obwohl er mit maximal vier Bildern in fünf Sekunden beinahe das Mamiya-Tempo von einem Bild pro Sekunde erreicht.
TTL-Blitzsteuerung bei der ETRSi
Sicher, das Mamiya-Systemzubehör ist bedeutend umfangreicher, die Kamera entspricht bis auf die fehlende TTL-Blitzsteuerung eher dem heutigen Stand der Technik als die Zenza Bronica. Das praktische Arbeiten macht jedoch mit der ungemein soliden und handlichen ETRSi, die auf ihre Weise nicht nur wegen des Zentralverschlusses an
eine Hasselblad erinnert, mehr Spaß. Bei der Mamiya stören Kleinigkeiten wie das billig wirkende Kunststoffgehäuse, der für Brillenträger etwas unübersichtliche Prismensucher und der laute Motor. Das kantige ETRSi-Gehäuse mit den exponierten Bedienungsteilen hat durchaus greifbare Vorteile: Magazin- und Objektivwechsel "sitzen" bei der Bronica einfach besser.
Der Generationskonflikt geht ganz knapp zugunsten des Oldies aus, wenngleich die fehlende Spotmeßmethode bei der Zenza Bronica Anlaß für eine baldige Überarbeitung des AE-Prismensuchers II geben sollte. Ansonsten beweist die ETRSi, daß ein zukunftssicheres Konzept, wie es die ETR 1976 fraglos aufwies, durch gezielte Modellpflege auch nach über einem Jahrzehnt nicht veraltet ist. Eine Erweiterung der etwas knappen Objektivpalette würde die Kamera noch attraktiver machen. Jedenfalls hat sie das Schattendasein, in dem sie sich durch die werbliche Zurückhaltung des Herstellers befindet, nicht verdient.
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