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Artikel
1997
Sammlerkamera des Monats
Kodak Retina
Eine Kamera fürs Volk
Sie ist zuverlässig, langlebig, hervorragend verarbeitet und obendrein noch preiswert. Die Kodak Retina machte die Kleinbildfotografie populär wie der VW Käfer die Massenmotorisierung und darf in keiner Kamerasammlung fehlen.
Die Ära der Kleinbildfotografie läutete sie nicht ein. Dieses Verdienst gebührt der Leica. Auch die Contax von Zeiss-Ikon erschien früher. Letztere war allerdings genauso elitär und teuer wie die Leica, in den wirren Zeiten der Weltwirtschaftskrise für den kleinen Mann genauso unerschwinglich wie eine Horch-Pullmann-Limousine. Erst sie, die Kodak Retina, machte aus der Kleinbildfotografie eine Massenbewegung. Die ersten Retina-Exemplare verließen 1934 das kurz zuvor von Kodak übernommene Nagel-Kamerawerk in Stuttgart. Nur unglaubliche 75 Reichsmark kostete die neuartige Kleinbild-Klappkamera, und das trotz hochwertiger Zutaten. Schneider-Kreuznach steuerte ein vierlinsiges Xenar-Objektiv 3,5/50 mm bei, und Friedrich Deckel lieferte den Compur-Zentralverschluß, der eine 1/500 Sekunde schnell sein konnte. Im zeitgenössischen Retina-Prospekt heißt es denn auch treffend: "Jetzt ist das ,Alles-Photographieren' volkstümlich geworden." Schließlich verfügte man nun über 36 Aufnahmen, die eine großzügige Auslegung des Begriffs "Motiv" zuließen.
Der Name "Retina" ist aus dem Lateinischen entlehnt und bedeutet Netzhaut. Der Vergleich des menschlichen Auges mit der Kamera wird ja durchaus häufig gebracht. Den Part der lichtempfindlichen Netzhaut spielt dabei bekanntlich der Film. Im Prospekt heißt es: "DasWort Retina verbindet den Sehvorgang auf der Netzhaut mit dem optischen Prinzip des Photographierens und stellt somit die allerengste Gedankenverbindung her, die in unserem Falle möglich ist."
Bei unserer Betrachtung der offiziell als "Präzisionskamera mit aufklappbarem Laufboden im Taschenformat" bezeichneten Retina wollen wir uns aber den Nachkriegsmodellen widmen. Sie sind besser erhalten und in vielen Punkten verfeinert, so daß man auch heute noch gern mit diesen wirklich kompakten Kameras fotografiert. Es gilt, die Modelle I, Il und III zu unterscheiden, wobei innerhalb dieser drei Grundtypen ein der Typenbezeichnung angeschlossenes a, b oder c auf feine Unterschiede hinweist. Die Retina Ia erhielt ab 1951 den Schnellaufzug, ein neu konstruierter Filmkanal verbesserte die Planlage. Dieses Modell ohne Entfernungs- und Belichtungsmesser gab es mit verschiedenen Objektiven der Lichtstärken 3,5 und 2,8. Noch im gleichen Jahr wurde der Compur-Rapid-Verschluß von der moderneren Synchro-Compur-Variante abgelöst. Das Nachfolgemodell Ib präsentiert sich im neuen abgerundeten Gehäuse. Kodak bestückte es nur noch mit dem Retina-Xenar 2,8/50 mm. Mit einem gekuppelten Mischbild-Entfernungsmesser und auswechselbaren Objektivgliedern wartete ab 1954 das Modell IIc auf. Ähnlich wie bei der Contaflex läßt sich die vordere Linsengruppe über ein Bajonett gegen Vorsatzobjektive von 35 und 80 Millimetern austauschen. Mit dem Modell IIIc entspricht Kodak im gleichen Jahr dem Wunsch der Fotografen nach einem eingebauten Belichtungsmesser, dem Status des Spitzenmodells angemessen ist ein Retina-Xenon oder Retina-Heligon der Lichtstärke 1:2. In allen anderen Details stimmt die IIIc mit der IIc überein. Drei Jahre später, 1957, kann Kodak sich sogar dazu durchringen, das bisherige Standardmodell mit einem Einbau-Belichtungsmesser zu bestücken. Es trägt nun die Bezeichnung 1 B. Die Epoche der weltberühmten Kodak-Klappkameras mit dem klangvollen Namen Retina geht 1960 mit den abermals verbesserten Versionen II C und III C zu Ende. Sie erhalten noch den längst fälligen Großbild-Leuchtrahmensucher. Die II C muß allerdings, obwohl hierarchisch über dem Standardmodell 1 B angesiedelt, ohne eingebauten Belichtungsmesser auskommen.
Die Preise für alte Kodak Retinas schwanken zwischen 120 Mark für eine Ib und 350 Mark für eine IIIC. Alle Kameras sind auch heute noch voll alltagstauglich. Verschluß und Belichtungsmesser sollten vor einer Kaufentscheidung sorgfältig geprüft werden. Laien fällt die Unterscheidung zwischen der klassischen Laufboden-Retina dem Original, und den Varianten mit auswechselbarem Objektiv oder den Retina-Reflex-Modellen nicht ganz leicht. Einfacher Hinweis: Den Klassiker kann man aufklappen. Zweifel bestehen auch noch bei der Aussprache des Namens "Retina": Die Betonung liegt auf der ersten Silbe.
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