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Artikel

1997

Photographica Aktuell

Seit 30 Jahren auf Tauchstation

Die Geschichte der Nikonos

Wer wünscht sie sich nicht, eine Kamera als ständige Begleiterin, die mit dem Fotografen durch dick und dünn geht, weder Staub noch Wasser scheut, Hitze und Kälte gleichermaßen wegsteckt. Seit dreißig Jahren gibt es sie, und sie hat fürwahr genug hinter sich: die Amphibienkamera Nikonos.

Amphibien heißen Tiere, die auf dem Land und im Wasser gleichermaßen leben können. Mit diesem Talent können Kameras nur selten aufwarten. Optische Präzisionsinstrumente, die außerdem noch ein wenig Elektronik beinhalten, sind eben von Natur aus ausgesprochen wasserscheu. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu, sie ist so alt wie der Drang der Fotografen, auch Bilder in unwirtlicher, aber faszinierender Umgebung zu machen. Die Unterwasserwelt zählt zu solchen Regionen, das feuchte Element und der in der Tiefe stetig steigende Wasserdruck stellen besondere Anforderungen an die Kamera, die früher in ein aufwendiges Schutzgehäuse eingepaßt werden mußten. So entwickelte der berühmte Taucher und Tiefseeforscher Hans Hass für die zweiäugige Rolleiflex ein robustes Gußgehäuse, das Rolleimarin. Der Meeresforscher Jacques Yves Cousteau gab sich damit nicht zufrieden, er suchte die wahre Amphibienkamera, die ohne Veränderung sowohl an der Küste als auch im Wasser schnell schußbereit ist. Mit dieser Idee und vielen weiteren Anforderungen an den neuen Kameraprototyp im Kopf, wandte sich Cousteau Ende der fünfziger Jahre an den belgischen Kamerakonstrukteur Jean deWouters, der sich sofort daran machte, die Kamera auf dem Reißbrett zu entwerfen und dabei völlig neue Konstruktionsmerkmale erdachte. 1960 war es dann so weit: Die Kamera ging bei dem Unternehmen Spirotechnique im Pariser Vorort Levallois in Serie, Cousteau nannte sie genauso wie sein Forschungsschiff, nämlich Calypso. Die Kamera verfügte über besonders griffige Bedienungselemente am Objektiv, die auch mit Taucherhandschuhen leicht zu bedienen sind. Das Objektiv, ein Berthiot 3,5/35 mm, besitzt unter Wasser, wegen der gegenüber der Atmosphäre anderen Lichtbrechung, den Bildwinkel einer herkömmlichen 50-mm-Brennweite über Land. Die äußerlich skurril wirkende Calypso erhielt noch eine Belederung aus imitiertem Seehundfell, eine liebenswerte Scheußlichkeit, die erst unter Nikon-Ägide der üblichen Gumiarmierung wich.
Die Calypso verkaufte sich unerwartet gut, füllte sie doch eine seit langem klaffende Marktlücke optimal aus. Nikon zeigte großes Interesse an der neuartigen Kamera und produzierte sie zunächst in Japan in Lizenz. Den Japanern gelang es 1963, alle Fertigungs- und Verkaufsrechte der Calypso zu erwerben - eine Entscheidung, die der Kamera letztendlich zum Durchbruch verhalf, denn Spirotechnique konnte natürlich nur in bescheidenen Stückzahlen liefern, es fehlte bei den Franzosen einfach die Infrastruktur eines großen Kameraherstellers, wie Nikon sie besaß. Nikon nannte das Adoptivkind Nikonos I, auf einigen Märkten hieß sie Calypso/Nikkor. Für die Nikonos I verwendeten die Japaner ihre eigenen Objektive, die sie noch in Meßsuchertagen gerechnet hatten. So wich das Berthiot einem W-Nikkor 2,5/35 mm, und erstmals bekam die Nikonos ein speziell für den unterschiedlichen Brechungsindex unter Wasser korrigierten Objektiv spendiert, das UW-Nikkor 3,5/28 mm. Im Laufe der Jahre wurde die Nikonos immer perfekter. Die zweite Entwicklungsstufe wurde 1968 eingeläutet; die Nikonos II erfuhr sehr viel Feinarbeit im Detail, Verschluß und Filmtransport wurden optimiert, der Bedienungskomfort wurde deutlich erhöht. Diese Modifikationen verleugneten aber nicht das Calypso-Original, dessen äußeres Erscheinungsbild sich auch bei der Nikonos II nur wenig veränderte.
Aber Nikon ruhte sich nicht auf seinen Unterwasser-Lorbeeren aus. Die inzwischen vielgefragte und wegen ihrer Einzigartigkeit nicht nur von Tauchern geschätzte Amphibienkamera erfuhr zum Modelljahr 1975 einschneidende Änderungen. Nikon-Ingenieur Tatsuro Shimizu verlieh der Kamera ein völlig neues Gehäuse mit verbesserter Griffigkeit. Der neue Leuchtrahmensucher mit Parallaxenmarken sorgte nun endlich für Übersichtlichkeit auch mit Taucherbrille. Notwendig wurde die Konstruktion einer neuen Zahntrommel für den Filmtransport, denn Bildüberlappungen waren eine häufig gerügte Schwäche der Vorgängermodelle Nikonos I und II. Verbesserungen ließen die Nikon-Techniker auch dem Schnellspannhebel und dem Bildzählwerk angedeihen.
Die heutige Nikonos V wartet für eine echte Amphibienkamera, die bis 50 Meter wasserdicht ist, mit bemerkenswerter Unkompliziertheit auf. Sie läßt sich ebenso spielerisch leicht bedienen wie eine ganz normale, konventionelle Sucherkamera vom Schlage einer Rollei 35 oder einer M-Leica. Nichts wirkt umständlich; eine Zeitautomatik erleichtert die Schnappschußfotografie, und wer ein grobschlächtiges Gehäuse bei der Nikonos V erwartet, sieht sich angenehm überrascht. Die Verschlußzeiten erscheinen per LED-Anzeige im Sucher, das Objektiv läßt sich wechseln, und eine TTL-Blitzautomatik sorgt für Sicherheit beim Blitzen. Hinzu kommt das unnachahmlich originelle Gehäuse, wahlweise mit moosgrünem oder leuchtend orangefarbenem Kunststoff bezogen, das wegen der Druckbeständigkeit unter Wasser schwer und solide wirkt. Markant sind bei der fünften Nikonos-Generation, genauso wie bei der Ur-Calypso. die griffigen Rändelräder links und rechts neben dem Objektiv. Das eine bewegt die Blende, das andere sorgt für die Fokussierung der entfernungsmesserlosen Kamera. Lediglich ein deutlich sichtbarer Schärfentiefenindikator klammert je nach vorgewählter Blende einen größeren oder kleineren Bereich der Fokussierskala ein. Das schwere, abgedichtete Gehäuse dämpft das Ablaufgeräusch des Schlitzverschlusses erheblich, nur ein dumpfes Klicken ist hörbar, wenn die von der Zeitautomatik diktierte oder manuell vorgewählte Verschlußzeit abläuft. In ihrer bemerkenswerten Geräuscharmut erreicht die Nikonos V Leica-M-Niveau. So ist die Nikonos V eine faszinierende Kamera auch für denjenigen, der ihren Einsatzzweck strikt mißachtet, der zudem 1200 Mark übrig hat und darüber hinaus die snobistische Gesinnung, mit dieser ungewöhnlichen Kamera ganz Gewöhnliches zu fotografieren, etwa Städteansichten oder Idyllisches fürs Familienalbum. Dabei darf es dann ruhig auch mal regnen.
Erst mit der Nikonos V hat die Amphibienkamera a la Nikon erstmals das grobschlächtige Ambiente einer Spezialkamera abgelegt. Die Nikonos im schönsten Kleid wirkt nicht mehr nur funktionell, sondern auch elegant. Wegbereiter für den dezenten Stil der Nikonos V, die 1984 in Deutschland erschien, war das Vorgängermodell mit der Typenbezeichnung IV-A, das 1980 die Nikonos II ablöste und dabei die wesentlichen Merkmale der späteren V bereits vorwegnahm. Sie erfuhr revolutionäre Änderungen in Design und Technik, erhielt eine TTL-Belichtungsmessung mit Zeitautomatik und hatte mit den Nikonos-Typen I bis III nur noch den Bajonettanschluß und die markanten Objektiv-Einstellräder gemein. Einen wesentlichen Fortschritt stellte bei der IV-A - das "A" steht für Automatik - der große, übersichtliche Sucher dar, der den Sucher der III als Ubergangslösung entlarvte.
Heute präsentiert sich die Nikonos V mit ihrem Zubehör und den immerhin fünf lieferbaren Wechselobjektiven als kleines Kamerasystem nicht nur für Taucher. Überall, wo extreme Anforderungen an eine Kamera gestellt werden, fühlt sich die Nikonos V zu Hause. Wassersportler, Bergsteiger, aber auch Freizeitsportler jedweder Couleur sind mit einer Nikonos V bestens bedient.

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