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1997

Beratung - Kaufberatung

Sechsmalsechs für Einsteiger: Exakte 66 Modell 2 neuen Mamiya C 330s

Die Eintrittskarten

Eingeschworene Kleinbildfotografen verbinden Mittelformatkameras gern mit dem Begriff "teuer", wenn nicht sogar "unerschwinglich". Genährt wird dieses Vorurteil insbesondere von den Kameraherstellern Rollei und Hasselblad, die mit der Preisgestaltung ihrer Spitzenmodelle nicht gerade zimperlich umgehen. Dabei gibt es durchaus respektable Mittelformatkameras unter 2000 Mark, die vollwertige Systemkameras sind.

Das Bekenntnis zu einer 6x6-Kamera unter 2000 Mark verlangt vom Mittelformat-Einsteiger, der eine moderne Kleinbildkamera, möglichst gar noch mit Autofokus, gewöhnt ist, einige Zugeständnisse. Neben der Absage an jegliche Belichtungsautomatik und dem Verzicht auf kameraseitige Belichtungsmessung - sofern nicht weiter in ein TTL-Prisma investiert wird -, gestaltet sich nahezu alles schwieriger und muß mit Überlegung geschehen. Vom Filmeinlegen bis zum Auslösen, nichts vollzieht sich mit elektrischer oder sogar elektronischer Unterstützung. "Belohnt" wird der gewissermaßen auf Handbetrieb umsteigende Fotograf dafür mit nur zwölf Möglichkeiten pro Film, zu optimalen Bildern zu gelangen. Das Sucherbild, tief unten im Faltlichtschacht eingebettet, erscheint seitenverkehrt und erleichtert es Mittelformat-Anfängern nicht gerade, das Motiv optimal ins Bild zu setzen. Dazu ist es übrigens auch unbedingt notwendig, die Gittereinteilung der Mattscheibe mit ihren vertikalen und horizontalen Linien zu beobachten, um stürzende Linien oder schief ins Bild gesetzte Personen und Objekte zu vermeiden.
Soweit also zu den Mittelformat-typischen Handicaps, die sich aber durchaus als versteckte Chance nutzen lassen, bessere Bilder als mit der Kleinbildkamera machen zu können. Denn zwölf statt 36 Aufnahmen erziehen zum bewußten Fotografieren, und der Lichtschachtsucher schönt das Motiv nicht in dem Maße wie der Prismensucher der Kleinbild-Spiegelreflex. Auch zwingt er erfreulicherweise zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Motiv. Typisch für erfahrenere Mittelformatfotografen ist es, daß sie den Schacht auch dann und wann einmal zu klappen, ohne fotografiert zu haben, weil das Motiv nicht das hielt, was es versprach.
Einsteiger in die Mittelformatfotografie müssen auch aus einer weiteren Not eine Tugend machen, denn schon aus Kostengründen steht ihnen oft nur die Standardbrennweite zur Verfügung. Außergewöhnliche Bildwirkungen gilt es also nicht mit dem Ansetzen anderer Brennweiten zu erzielen, sondern mit Hilfe schweißtreibender Standort- und Positionswechsel. Ein bequemes Zoom gar ist für die Exakta 66 zwar lieferbar- es gibt sogar zwei, nämlich das Schneider-Kreuznach Variogon 4,5/75-150 mm und das längere Variogon 5,6/140 280 mm -, preislich jedoch stehen diese beiden Objektive in keinem Verhältnis zur preiswerten Kamera-Grundaustattung. Obwohl beide Mittelformatkameras den technischen Standard der sechziger Jahre repräsentieren, wirkt die Exakta 66 moderner in der Konzeption als die Mamiya C 330s. Das liegt in erster Linie an ihrer an eine Kleinbildkamera erinnernde Optik und Handhabung. Sie wirkt äußerlich wie eine überdimensionierte Kleinbildspiegelreflex, hat einen Schnellschalthebel wie diese und wird mit beiden Händen fest gepackt.
Anders die Mamiya. Sie huldigt mit ihrem getrennten Sucher- und Aufnahmeobjektiv dem ältesten Prinzip handlicher Rollfilmkameras überhaupt. Man hält sie deshalb anders, nämlich mit einer Hand, bei Rechtshändern mit der linken, und bedient mit der rechten die Rollei-typische Schnellschaltkurbel, die Filmtransport und Verschlußaufzug gleichermaßen besorgt. Die Schnellschaltkurbel ist nicht das einzige an der Mamiya, das an die berühmte zweiäugige Rolleiflex erinnert, das Vorbild stand in vielen Details Pate. Bei der Mamiya kann der Fotograf allerdings das Objektiv wechseln, und das schon seit ihrem Urahn Mamiya C Professional von 1957. Die beiden Objektive das Sucher- und das Aufnahmeobjektiv - sind auf einer Standarte aufgebracht, die sich mit einer, zugegeben recht primitiven, Klemmvorrichtung an der Frontplatte des Kameragehäuses befestigen läßt, ein Bajonett oder ein Schraubgewinde existiert nicht. Von den früher sieben Wechselobjektiven sind allerdings nurmehr vier übriggeblieben, ein 4,5/55-mm-Weitwinkel, ein 2,8/80-mm-Standardobjektiv und zwei Teleobjektive 4,5/135 mm und 4,5/180 mm, was den Arbeitsbereich gegenüber der Exakta 66, für die sechs Wechselobjektive auf der Zubehörliste erscheinen, einschränken.
Alle Mamiya-Objektive besitzen einen eingebauten Zentralverschluß für den Zeitenbereich von 1/500 Sekunde bis eine Sekunde und natürlich B. Außerdem ist die Synchronisation von Blitzlampen auf Elektronenblitzgeräte umschaltbar und umgekehrt. Ein großer Vorzug des Zentralverschlusses ist sein leises Arbeiten. In diesem Punkt trennen die Schlitzverschlußkamera Exakta 66 Modell 2 und Mamiya C 330s Welten. Während die Mamiya leise vor sich hinschnurrt, schlägt die Exakta 66 laut und vernehmlich den Spiegel nach oben und den großflächigen Schlitzverschluß auf und zu, der auf der Habenseite allerdings die 1/1000 Sekunde für sich verbuchen kann, dafür allerdings auch nur die 1/30 Sekunde als kürzeste Blitzsynchronzeit offeriert.
Auch die Exakta 66 hat ein fast baugleiches Vorbild. Sie ist der Pentacon Six nachempfunden, die aber häufig wegen nie auskurierter Kinderkrankheiten in Bereich des Filmtransports für Ärger sorgte. Die Exakta 66 Modell 2 übernahm nur die gute Erbmasse der Vorgängerin und wurde in allen kritischen Punkten deutlich überarbeitet. Bei dem Modell 2 vergrößerten die Exakta-Konstrukteure das Sucherbild um 18 Prozent und führten eine einfacher zu bedienende Rückwand mit Schnappverschluß ein. Beim Blick in den Mamiya-Sucher fallen die Markierungen für den Parallaxenausgleich auf, der im Gegensatz zur Rollei bei der Mamiya wegen der Benutzung unterschiedlicher Brennweiten nicht automatisch erfolgen kann. Die einäugige Spiegelreflexkamera Exakta 66 kennt das Problem nicht, weil genau durch das Aufnahmeobjektiv gesehen wird.
Bei der Mamiya sieht der Fotograf ständig durch das obere Sucherobjektiv, der Spiegel wurde feststehend konstruiert, und das Motiv kann sogar noch während der Aufnahme betrachtet werden. Einen Rückschwingspiegel sucht man bei der Exakta 66 vergebens, nach dem Auslösen bleibt das Sucherbild zunächst dunkel, bis es sich dann durch das etwas umständliche Spannen des Schnellschalthebels wieder erhellt. Das Einstellen von Blende und Verschlußzeit direkt an den Mamiya-Zentralverschlußobjektiven ist dagegen eine fummelige und zeitraubende Arbeit.
Besser funktioniert das bei der Exakta 66, die ohnehin eher als Action- und Outdour-Kamera für schnelle Aufnahmen in hoher Bildqualität draußen ausgelegt ist, während die Mamiya, insbesondere mit dem 4,5/180-mmObjektiv, eine hervorragende Porträtkamera für die wohlgestaltete Aufnahme abgibt. Für Aufnahmen im Freien eignet sie sich wegen ihres für Mittelformat-Verhältnisse noch erträglichen Gewichts gleichermaßen. Schnelles Arbeiten erleichtert die Exakta 66 durch ihr griffiges Kleinbilddesign und durch den gut erreichbaren Blendenring, der wie gewohnt vorn am Objektiv sitzt. Der Verschlußzeitenknopf befindet sich ebenfalls nach üblichen, vom Kleinbild her gewohnten Standards auf der Kameraoberseite.
Die Abbildungsqualität der beiden geprüften Kameras konnte voll überzeugen. Auch das früher als etwas "weich", das heißt wenig kontrastreich geltende Standardobjektiv der Mamiya wurde spürbar verbessert, es darf sich daher zu Recht mit einem "s" schmücken. Trotz stärkerer Kameravibration, bedingt durch Spiegelschlag und Schlitzverschlußablauf, schnitt bei Vergleichsaufnahmen das Schneider-Xenotar MC 2,8/80 mm bei offener Blende in der Brillanz etwas besser ab. Erst das 4,5/180 mm sichert der Mamiya C 330s jene überragende Bildqualität, für die gute Mittelformatkameras zu recht berühmt sind. Ein Umstand, der bei der Anschaffung bedacht sein will, auch wenn die hohe Qualität mit über einer Blende Differenz in der Lichtstärke honoriert werden muß.
In puncto Angebot und Lichtstärke ist die Palette der Exakta 66 derjenigen der Mamiya überlegen. Die Exakta 66 wirkt außerdem handlicher als die Mamiya, was sie auch dem konstruktiven Umstand zu verdanken hat, daß die Objektive wie üblich einen Schneckengang zur Fokussierung besitzen. Die Belichtungseinstellung nach Vorwahl der Verschlußzeit durch Drehen des Blendenringes und das anschließende Fokussieren verschmelzen quasi zu einem Handgriff. Die Kamera-Frontplatte der Mamiya dagegen ist auf einem Balgen montiert, der mit den beiden großen Einstellknöpfen an der Unterseite der Kamera bedient wird und für die Entfernungseinstellung verantwortlich ist.
Zwar trägt der Balgen einerseits zur Unhandlichkeit der Kamera bei, doch macht er die Mamiya C 330s für Nahaufnahmen ohne Zubehör besonders geeignet. Mit 2,8/80 Millimeter Standardobjektiv läßt sich immerhin ein Objektfeld von 86 mal 86 Millimetern - das entspricht etwa einem Abbildungsmaßstab von 1:2,5 - formatfüllend abbilden, mit dem 4,5/55-mm-Weitwinkel kommt man fast auf 1:1.
Die Exakta 66 präsentiert sich als schnelle, handliche Kamera für alle Aufnahmezwecke. Sie ist deutlich an Kleinbild-SLR-Kameras angelehnt und macht es Aufsteigern daher leicht. Die Schneider-Kreuznach-Objektive sind von hervorragender Qualität und, verglichen mit anderen Mittelformatsystemen, auch noch lichtstark und erschwinglich. Der TTL-Prismensucher sollte die Kamera ergänzen. Für Fotografen, die kein Wechselmagazin brauchen und Vielseitigkeit schätzen, ist die Exakta 66 eine ernsthafte Alternative, die nur einen Nachteil hat - das Prestige ist gering. Wer dagegen die Mittelformatfotografie in ihrer ganzen reizvollen Andersartigkeit erfahren will, der ist mit der langsamen, komplizierteren Mamiya C 330s besser bedient. Eine Kamera, die wie kaum eine zweite zum Komponieren und Experimentieren einlädt, die Hektik haßt und den sensiblen Fotografen liebt. Statt des Prismas ist ein weiteres Objektiv die bessere und zum Charakter der Kamera passendere Investition.

PLUS FÜR DIE EXAKTA

+ einfache Bedienung
+ gute Handlichkeit
+ leistungsfähiges TTL-Prisma
+ großes Objektivprogramm
+ umfangreiches Zubehör
+ ausgezeichnete Objektivqualität

PLUS FÜR DIE MAMIYA

+ solide Verarbeitung
+ leise arbeitender Verschluß
+ eingebauter Balgen
+ sehr gute Objektivqualität

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