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Artikel

1997

Baugleiche Kameras und Objektive

Etikettenschwindel

Ist das, was draufsteht, auch drin? Auf diese elementare Frage läßt sich ein Thema reduzieren, das viele bewegt, denn Baugleiches gibt es bei Kameras und Objektiven häufig, die Marke bestimmt dann den Preis. COLOR FOTO nennt die wichtigsten Fälle der Ingenieurskunst per Markenzeichen.

Wie so oft haben Engländer und Amerikaner für die immer verbreitetere Sitte, ein Produkt zu entwickeln und es unter mehreren Markennamen anzubieten, eine sehr treffende Bezeichnung. Sie nennen es "Brand-Engineering" (von englisch "brand" gleich Markenzeichen). Diese etwas zynisch klingende Umschreibung sagt aus, daß manche Firmen eigene Entwicklungsarbeit und vor allem die Kosten dafür scheuen und lieber ein Produkt bei der Konkurrenz dazukaufen, statt es selbst zu fertigen. In unserem technokratischen Zeitalter, in dem der Rotstift mehr und mehr regiert, häufen sich die Fälle solch vornehm zeitgemäßen Etikettenschwindels, von dem beide Beteiligten etwas haben. Der Produzent ist durch größere Stückzahlen besser ausgelastet und hat einen festen Abnehmer, der Kunde füllt eine wichtige Lücke im Sortiment und kann, wenn er einen prestigeträchtigen Namen hat, einen satten Aufschlag auf den Einkaufspreis erheben, sprich: er verdient gut daran. Die Brand-Engineering-Strategie zu durchschauen, fallt allerdings meist schwer, weil die Private-Label-Kunden, wie sie im Fachjargon auch heißen, ihr Firmenlogo aufdrucken, aber nicht verraten, woher das Original stammt.
Jüngstes Beispiel für gekonntes Brand-Engineering ist die Rollei Prego AF, eine sehr kompakte Autofokus-Sucherkamera, die in einem großen Fotogeschäft im oberbayerischen Rosenheim sogar plakativ als "Made in Germany" angepriesen wurde. Das grenzt an bewußte Irreführung, denn Rolleis preiswerteste Kamera- sie kostet rund 450 Mark - kommt nicht aus Braunschweig, sondern aus Korea. Sie ist nämlich bis auf ein paar Designänderungen baugleich mit der Samsung Slim, die es schon für 200 Mark im Laden zu kaufen gibt. Ersparnis für deutlich weniger Prestige und ein zugegeben nicht so gelungenes Design: rund 250 Mark.
Eine Autofokus-Kompaktkamera in Deutschland zu entwickeln und zu bauen, würde zu einem Endpreis von rund 1000 Mark führen, mit dem fatalen Effekt, daß die technischen Bauteile den Schriftzug "Japan" tragen, weil es keine derartige Zulieferindustrie in Deutschland gibt. Rollei schlug mit der Prego den bereits von Leica gegangenen Weg ein. Auch in Solms sah die Unternehmensleitung die Notwendigkeit ein, mit einem preiswerten Kameramodell vom Boom der Autofokus-Kompaktkameras zu profitieren. Dabei erwies sich das Markenprestige als ebenso hilfreich wie die langjährige Kooperation mit Minolta. Die Minolta AF-TeleSuper diente als Vorbild für die AF-C1. Sie wurde nur im Design verändert, und die sprichwörtlich penible Leica-Qualitätskontrolle sorgt dafür, daß nur die besten AF-Tele-Super-Modelle zur AF-C1 veredelt werden. Die Minolta ist bereits für 350 Mark zu haben und kostet damit nur rund halb so viel wie die 600 Mark teure Leica AF-C1 .
Gleich zwei Nachahmer fand die Minolta X-300, heutzutage eine der preiswertesten Spiegelreflexkameras überhaupt. Von Minolta wird sie nur noch als weiterentwickelte X-300s angeboten, die Chinesen bauen das Vorgängermodell ohne "s" als Seagull DF 300, die wiederum von Beroflex als Exakta angeboten wird. Ähnliches gilt auch für die Pentax K 1000 und die Maginon K 1000, die sich erst seit kurzem im deutschen Angebot befindet. Auch die Maginon kommt aus China, besitzt aber aus Mentalitätsgründen die Chinesen lieben es, vor den Sehenswürdigkeiten ihres Landes zu posieren - einen Selbstauslöser und eine LED-Anzeige im Sucher. Auch Canon, der größte Spiegelreflexkamera-Hersteller der Welt, ist sich nicht zu fein, Lücken im Programm mit Adoptivprodukten zu füllen - die T60 kommt von Cosina.
Auch bei Objektiven gibt es Brand-Engineering. Vergleicht man einmal das Soligor- mit dem Vivitar-Objektivprogramm, so wird man zahlreiche baugleiche Typen finden, insbesondere im Zoom-Bereich. Das 2,8/105 mm von Vivitar kam ursprünglich als Kiron-Makro heraus und taucht auch als Makro-Rolleinar und Makro-Rikenon auf, wobei die Brennweitenangabe, ebenso wie die Lichtstärke, leicht schwankt. So ist es laut DIN-Norm zulässig, von 105 Millimetern statt effektiven 100 Millimetern zu sprechen.
Die übrigen Rolleinar-Objektive stammen von Mamiya und von Tokina. Das neue Leica 2,8-3,5/28-70 mm stammt von Sigma, und das 4/70 210 mm steuerte der Kooperationspartner Minolta bei, der auch für das 2,8/16-mm-Fisheye, das 2,8/24 mm, das 2,8/28 mm und das Spiegeltele 8/500 mm von Leica verantwortlich zeichnet. Das Maginon 4-4,5/18-28 mm wird auch unter gleicher Spezifikation von Beroflex angeboten, produziert wird es vom koreanischen Optik-Hersteller Samyang. Sogar Zeiss läßt inzwischen die meisten Objektive zur Contax-Reihe bei Tomioka in Japan fertigen, freilich exklusiv.
Ein anderes Kapitel zum Thema Brand-Engineering ist das der reinen Handelsmarken. So lassen Quelle und Porst manches Kameramodell fertigen - aber davon mehr in einem der nächsten COLOR FOTO-Hefte.

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