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Artikel

1997

Test & Technik

Der Alexander-Borell-Kommentar zur Chinon GS-9 Reflex Zoom

Alles drin alles dran

In einem amerikanischen Lehrbuch für Verkaufspsychologie steht der Satz: "Bringe den Kunden vor dem eigentlichen Verkaufsgespräch dazu, daß er dreimal "Ja" sagt, und er wird kaufen." Nimmt man die Chinon GS-9 zum ersten Mal in die Hand, sagt man sofort dreimal "Ja": Erstens faßt sie sich gut an und liegt hervorragend in der Hand; zweitens hat sie nur wenige, hand- und fingergerechte Bedienungsknöpfe; und drittens sagt man "Ja" zu dem praxisnahen Zoombereich 38-110 mm. Ein zusätzlich erhältlicher Telekonverter 1,4 - der auch in Weitwinkelstellung nicht vignettiert - verlängert die Brennweite auf 154 Millimeter. Ein viertes "Ja" ist beim Ausfahren des Blitzes fällig: Er ist weit genug vom Objektiv entfernt, um "rote Augen" wirkungsvoll zu unterdrücken. Hier haben Systeme mit "Vorblitz" ihr eigenes Problem: Das Opfer macht häufig, durch den Lichtstrahl oder das Geblinke bedingt, ein erwartungsvoll-ängstliches "Fotografiergesicht". Die wichtigste Frage gilt heute dem Autofokus-System, und auch hier verdient die GS-9 ein deutliches "Ja": Sie mißt die Entfernung weder allein passiv - also nur nach vorhandenem Motivkontrast noch allein aktiv mit einem roten Meßstrahl, sondern verwendet beide Systeme und wählt selbst das dem jeweiligen Motiv entsprechende korrekt aus.
Für Leute, die unbedingt alles selbst machen wollen, ist diese Kamera nicht konzipiert: Sie nimmt dem Fotografen zwar nicht jegliches Nachdenken ab, aber sie hilft ihm, in gewissen Situationen keine Fehler zu machen. So können Sie zwischen drei Programmen wählen und Ihr Motiv anvisieren; die GS-9 erkennt dann, was Sie als Hauptmotiv im Bild haben wollen und zoomt ihnen den richtigen Bildausschnitt heran. Das klingt unglaublich, funktioniert in der Praxis jedoch überraschend gut. Selbstverständlich können Sie diese programmgesteuerte Zoom-Automatik auch mit einem Knopfdruck abschalten und Ihr Motiv nach freier Wahl zwischen 38 und 110 Millimetern Brennweite gestalten.
Sieht man einmal davon ab, daß die GS-9 mit ihrer kürzesten Verschlußzeit von 1/1000 Sekunde ihren "Bridge"-Kollegen überlegen ist, scheint mir eine andere Tatsache von noch viel entscheidenderer Bedeutung: Sie tut nicht so, als wäre sie eine Spiegelreflex, sondern sie ist tatsächlich eine echte SLR mit TTL-Belichtungsmessung. Sie haben also im Sucherbild keine weißen Linien, die bei Nahaufnahmen den oberen Bildrand andeuten (Parallaxe-Marken), sondern was Sie im Sucher sehen, kommt auf den Film, auch bei Nahaufnahmen. Zur völlig freien Bildgestaltung können Sie den Autofokus auf "Spot" stellen, um die Schärfe gezielt auf ein Detail zu legen.
Mit drei Druckknöpfen unterhalb des linksseitigen Displays steuern Sie die meisten Kamerafunktionen - ob Sie, für schnelle Schnappschüsse etwa, die automatische Zoomeinstellung wollen, oder ob Sie lieber mit dem Zeigefinger Ihrer rechten Hand zwei weitere Knöpfe (Weit und Tele), rechts auf der Kamera, bedienen wollen. Mit dem Knopf "Drive" bestimmen Sie, ob Sie Einzelbilder oder Serien fotografieren, wobei die Kamera nur auslöst, wenn die Schärfe stimmt; und schließlich wählen Sie mit dem dritten Knopf noch das gewünschte der drei zur Verfügung stehenden Programme:
"P" für allgemeine Aufnahmen ist fast immer richtig, und die Kamera stellt - nach Abschalten - automatisch auf "P", was größte Erfolgssicherheit bei blitzschnellen Schnappschüssen garantiert. Stellen Sie hingegen auf "Sport und Portrait", bildet die Kamera mit der größtmöglichen Blende die kürzestmögliche Verschlußzeit bei langer Brennweite. Stellen Sie jedoch "Landschafts- und Gruppenaufnahmen" ein, versucht die Kamera automatisch, in Weitwinkelstellung viel Schärfentiefe zu erzielen.
Da die GS-9 zusätzliche Belichtungskorrektur von + 2 LW in halben Stufen ermöglicht, ist sie nicht nur auch für Diafilm bestens geeignet, sondern erlaubt auch Mehrfachbelichtungen in beliebiger Anzahl. Und sollten Sie einmal das Abschalten nach Ihren Aufnahmen vergessen, besorgt dies die GS-9 für Sie nach 60 Sekunden.
Es gäbe noch eine Menge über die Sonderstellung dieser Kamera zu sagen, aber ein gut gemachter Prospekt informiert Sie gründlich; die Bedienungsanleitung ist für jedermann verständlich. Als dieser Kameratyp auf den Markt kam, hat man ihm die unseligste Bezeichnung mitgegeben, die in der Fotobranche je erdacht wurde: "Bridge"-Kamera, als Übergang von der "Kompakten" zur Spiegelreflex.
Ich schrieb damals, Zwitter seien nie fruchtbar und würden sich daher auch nicht vermehren. Inzwischen zeigen die GS9 und andere, ähnlich konzipierte Kameras, daß sie nicht nur keine Zwitter mehr sind, sondern sich durch Mutation zu einem völlig neuen und selbständigen Kameratyp entwickelt haben, der nun seine volle Daseinsberechtigung hat und von dem in Zukunft noch einiges zu erwarten ist.

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