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Artikel
1997
Beratung
COLOR FOTO entschlüsselt das Prinzip des Canon-EOS-10 Barcodes
Verschlußsache - streng vertraulich
Als die Canon EOS- 10 Anfang des Jahres vorgestellt wurde, verblüffte sie die Fachwelt weniger durch den Mehrfeld-Autofokus, als vielmehr durch die Software, die der Kamera in Form eines Heftchens beigefügt war. Ein Abtaststift liest die in Form eines Barcodes verschlüsselten Aufnahmedaten für ein bestimmtes Motivprogramm ein. Viele fragen sich seitdem, wie das funktioniert. COLOR FOTO erklärt hier das Prinzip dieses Barcodes.
Minolta setzte 1988 bei Einführung der Dynax 7000i die Idee von der Software für Kameras in die Tat um. Ein Dutzend sogenannter Chipkarten erweitert den Anwendungsbereich der Kamera und erleichtert die Bedienung. Canon konterte mit der EOS 600, verzichtete aber damals bewußt auf das Angebot externer Software in Form von Chipkarten. In Tokio ging man den umgekehrten Weg wie in Osaka: Durch das Integrieren der Motivprogramme in die Kameraelektronik - quasi auf Festplatte, wie die Computerfachleute sagen, statt auf Diskette' sprich Chipkarte, bei Minolta. Der Vorteil liegt für den Anwender auf der Hand. Eine Chipkarte kostet 49,80 DM, die acht Motivprogramme und fünf programmierbaren Sonderfunktionen einer EOS 600 sind im Kamerakaufpreis inbegriffen. Die EOS 10 markiert zur Zeit den Höhepunkt in der Entwicklung der Kameraelektronik. Bei ihr kann man die Motivprogramme auf zweierlei Art und Weise abrufen: Einmal über das sogenannte P.I.C.-System, was nichts anderes heißt als "Programmed Image Control", und das Aktivieren der vier eingebauten Motivprogramme Porträt, Landschaft, Makro und Action über den Kamerawahlschalter bedeutet. Bei der anderen Methode tritt das EOS-Barcode-System auf den Plan, das 23 weitere, noch ausgefeiltere und spezifiziertere Motivsituationen offeriert. Trifft der Fotograf auf eine dieser beschriebenen Aufnahmesituationen, so muß er das Barcode-Heftchen an der Stelle des betreffenden Beispielbilds aufschlagen, den Strichcode mit dem Lesestift erfassen und den Stift zur Übertragung an die Kamerabuchse ansetzen. Wenn der Abtaststift das Programm erkennt und für richtig befindet, ertönt ein Piepgeräusch als Erfolgsmeldung. Der LCD-Monitor zeigt dann die entsprechende Kennzahl des Programms an, zum Beispiel P 21 für Kirchenfenster im Gegenlicht. Jetzt ist die Kamera schußbereit, der Fotograf braucht weder Zeit noch Blende vorzuwählen oder eine Belichtungskorrektur einzugeben, um die Kirchenfenster zu fotografieren. Es genügt, den Kamerawahlschalter auf das Barcode-Symbol zu stellen und das Motivprogramm per Lesestift auf die Kamera zu übertragen.
Nun kann man über den Sinn einer solchen Barcode-Software geteilter Meinung sein. Was für die einen nur eine nette Spielerei ist und für die anderen eine wertvolle Bedienungshilfe darstellt, mit der man auch schwierige Lichtsituationen meistern kann, läßt Dritte grundsätzlich am Kamerafortschritt zweifeln, der sich ihrer Meinung nach am Bedürfnis der Fotografen vorbei völlig in die falsche Richtung entwickelt. Noch nie hat eine Kamera einen solchen Glaubenskrieg entfacht wie die Canon EOS 10. Bisher entzündete sich eine solche Grundsatzdiskussion über die technische Zukunft der Fotografie nur an Prinzipien wie Multiautomatik oder Autofokus, jetzt bildet sogar ein bestimmtes Kameramodell den Stein des Anstoßes. Sicher hätten die Entwicklungsingenieure von Canon die 23 Motivprogramme gleich in die Kamera integrieren können, doch war ihnen dies offenbar zu wenig spektakulär, und außerdem hätte es eine Menge Speicherkapazität beansprucht, die eine größeren und teurere CPU ("Central Processing Unit") notwendig machen würde. Barcode und Lesestift verfehlten ihre beabsichtigte hohe Publicity in der interessierten Öffentlichkeit nicht.
In seinen Broschüren und in der Bedienungsanleitung gibt Canon sein Geheimnis um den Barcode nicht preis. Fest steht nur, daß die Information, die in hoher Dichte in verschieden breiten Strichen unterschiedlichen Abstands gespeichert ist, Kamerafunktionen beeinflußt. Einmal ist eine feste Blende oder feste Verschlußzeit vorgegeben, dann schaltet sich der Blitz automatisch zu, weil ihm das eine bestimmte Strichdicke, auf die er programmiert ist, befiehlt; bei einem anderen Motiv wird über den Strichcode unter anderem eine Belichtungskorrektur von plus zwei Blenden vorgegeben, und es wird zusätzlich selektiv gemessen. Daß dies so ungefähr funktionieren muß, leuchtet selbst Laien ein, die von Computern nichts verstehen. Barcodes gibt es bereits seit vielen Jahren als Dispositions- und Kalkulationshilfe in der Logistik. Wer kennt sie nicht von Lebensmittel-, oder Arzneimittelpackungen her. Dort geben sie Aufschluß über Herstellungsdatum, Lagerort, Verpackungseinheit und Preis. Auch auf Filmschachteln hat sich der Barcode längst breitgemacht, und in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten verunziert er die Titelblätter der Zeitschriften, selbst Auto-Ersatzteile sind ohne diese Beschriftung nicht mehr denkbar. Der von Canon verwendete Code ist mit diesen Logistik-Codes durchaus verwandt. Er ist zum Beispiel derselbe, wie er in Fernsehzeitschriften zur Programmierung der Videorekorder verwendet wird.
In der Fachsprache redet man von Typ 2/5 interleaved. Er basiert auf einem Binärprinzip mit einer Anzahl von schmalen und breiten Strichen in Kombination mit Lücken. Die Oberfläche des Strichcodes wird durch die Leuchtdioden des Lesestifts über eine Lochblende rot beleuchtet. Das reflektierte Licht gelangt mit Hilfe eines aufwendigen optischen Systems auf den Fototransistor. Dieser löst beim Abtasten die verschieden breiten Striche und Lücken optisch auf und wandelt sie in einen elektrischen Impulszug um. Durch eine elektronische Auswertung oder Decodierung wird dieser Impulszug von der EOS 10 als vierzehnsteilige Ziffernfolge interpretiert. Der Code-typ 2/5 interleaved, was überlappt bedeutet, ist ein numerischer Code, bei dem die Ziffern 0 bis 9 darstellbar sind. Der Aufbau ist geradzahlig, und jedes Zeichen besteht aus zwei breiten und drei schmalen Strichen oder Lücken. Fünf Striche stellen die erste Ziffer dar, die zweite Ziffer wird mit den unmittelbar den Strichen der ersten Stelle folgenden Lücken bestimmt. Die Tabelle auf der folgenden Seite zeigt die Darstellung der 10 Ziffern in Strichcodeform. Die 0 bedeutet in diesem Zusammenhang schmaler Strich oder Lücke, die 1 steht für den breiten Strich beziehungsweise die breite Lücke.
Den Barcode entschlüsselt zu haben, ist allerdings nicht das Verdienst der Redaktion. COLOR FOTO-Leser Heinz K. Lederer aus München, beruflich mit Computer-Software befaßt, gelang dieses Meisterstück. Wie kam der Computerspezialist Lederer dazu, sich mit dem Barcode der EOS 10 ausführlich zu befassen? Dies erläuterte er uns in einem Gespräch: "Seit jeher begeistern mich neue technische Möglichkeiten bei Computern und Kameras gleichermaßen, und so habe ich mir vor knapp zwei Monaten die neue Canon EOS 10 mit ihren umfangreichen programmierbaren Möglichkeiten gekauft. Da ich ebenfalls ein begeisterter Computerfreak bin und mich die Möglichkeiten der Barcode-Eingabe sehr interessierten, habe ich mich über die verschiedenen Strich oder Barcodes informiert. Einige Wochen lang tüftelte und probierte ich, bis ich die Lösung hatte. Durch Analyse der Stellen fand ich verschiedene Charakteristiken heraus, die einzelnen Kamerafunktionen zuzuordnen sind. Mit Hilfe meines Personal Computers erstellte ich Barcodes mit eigens erdachten Ziffernfolgen in bester Druckerqualität und testete jede einzelne Stelle mit unterschiedlichsten Ausprägungen durch. Hierbei habe ich festgestellt, daß der Code 12 (Hochzeit) mit dem Code 14 (Hochzeit bei Kerzenlicht) identisch ist. Außerdem ist die Blitzangabe im Büchlein für Code 13 falsch, da im abgedruckten Code keine Blitzzuschaltung definiert ist.
Beim EOS-Barcode sind folgende Möglichkeiten verschlüsselt und je nach Programm modifiziert:
Einstellung auf Blendenautomatik mit Vorgabe der Zeit von 30 Sekunden bis 1/2000 Sekunde.
Einstellung auf Zeitautomatik mit Blendenvorgabe von Blende 2,8 bis 22.
Einstellung auf manuelle Belichtung mit Vorgabe von Zeit und Blendenwert.
Entweder Einzelbildtransport oder Serienschaltung.
Einstellung der Autofokus-Betriebsarten "One Shot" oder "AI-Servo".
Belichtungskorrekturen plus oder minus um bis zu vier Stufen in jeweils halben Belichtungsstufen.
Ganzfeld-, Sechs-Feld- oder Selektivmessung.
Blitzzuschaltung nie, immer oder abhängig von der jeweiligen Belichtung.
Aufgrund dieser beliebig variierbaren und veränderbaren Parameter können für jede gewünschte Aufnahmesituation unzählige Barcodes erstellt und in die EOS 10 eingespeichert werden. Allerdings sind die Programmnummern - aber dies ist kein Hinderungsgrund - ab 99 für neue Programmbüchlein wieder mit 01 beginnend zu erstellen, oder es sind einzelne Programmnummern mehrfach zu beleben.
Die abgedruckte Entschlüsselungstabelle gibt genauen Aufschluß darüber, welche Funktion auf welche Stelle im Barcode gelegt ist, wobei die Stellen 13 und 14 für eventuelle spätere Belegungen noch frei sind. Barcode-Knacker Lederer konnte mit dem von ihm erstellten Schlüssel natürlich auch die 23 Motivprogramme des EOS-Barcode-Büchleins analysieren (obere Tabelle).
Lederer ging sogar noch weiter und erstellte per Computerdrucker vier neue Barcodes. Motive im Gegenlicht heißt die selbst kreierte Programm-Nummer 32, deren Hauptmerkmale die selektive Belichtung und der je nach Helligkeit selbständig zuschaltende Blitz sind. Programmnummer 33 nannte er Aufnahmen mit Polfilter. Auch hier schaltet sich der Blitz je nach Helligkeit automatisch zu, außerdem findet eine Minus-Korrektur um eine halbe Blendenstufe statt. Programmnummer 35 heißt sehr schnelle Sportart. Die Charakteristika dieses Programms lauten: Serienschaltung, Servo-Autofokus und eine vorgegebene Verschlußzeit von 1/2000 Sekunde.
Die Canon EOS 10 besitzt 99 Speicherplätze; bisher sind erst 23 offiziell durch die Barcode-Programme im Motivheft zur EOS 10 gespeichert. Sicher wird Canon nach und nach die gesamte Speicherkapazität nutzen und zusätzliche Software für die Kamera in Form von neuen Motivbüchlein mit weiteren Barcodes anbieten, denn die Stärke des Barcodes gegenüber der Chipkarte ist seine unerhörte Vielseitigkeit und Variabilität, verbunden mit geringen Herstellungskosten. Seine Entschlüsselung zeigt, welche Möglichkeiten in diesem einfachen Gespinst aus Strichen und Zwischenräumen stecken. Ob er als technische Spielerei oder als sinnvolle Unterstützung des Bedienungskomforts bei Kameras angesehen wird, ist einerlei - fest steht: Der Barcode für Kameras hat Zukunft. Ein Geheimnis ist er nicht mehr.
Funktion der Barcode-Programme
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Schlüssel des EOS-10-Barcodes
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{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}