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Artikel
1997
Beratung
Zenit 12 XP - oder wie billig darf eine Kamera sein?
Die Zeitmaschine
Mit dem Begriff Spiegelreflexkamera assoziiert der Fotograf ein feinmechanisch-optisches Präzisionsinstrument, das selbst in seiner preiswertesten Form nicht unter 300 DM zu haben ist. Die Zenit 12 XP kostet mit Objektiv noch nicht einmal 200 DM. Ist sie zu billig, um gut zu sein?
Mit dem Wort Zenit wird der höchste Sonnenstand mittags um zwölf bezeichnet, in unserem Falle steht es für eine russische Spiegelreflexkamera, die alles andere verkörpert als den Höchststand der Technik. Im Gegenteil, das schwere, gedrungen wirkende Gerät ist von seiner technischen Entwicklung her irgendwo in den späten sechziger Jahren angesiedelt, und der Fotograf fühlt sich beim Blick durch den Sucher wie mit einer Zeitmaschine in diese Ära zurückkatapultiert.
Die Zenit 12 XP, in Profischwarz lackiert, kommt etwas grobschlächtig daher, das Finish im Detail läßt Wünsche offen, und die solide, von Metall bestimmte Ausführung weckt Assoziationen an ein rustikales Werkzeug. Nur die Kunststoff-Bodenplatte will nicht in dieses von robuster Langzeittauglichkeit geprägte Bild passen, das von dem aus Messing gefrästen Oberteil und dem mit schweren Einstellringen versehenen Objektiv ausgeht. Ausführung, Materialstärken und Oberflächenbearbeitung erinnern an einen russischen Poljot-Revolver. Doch auch ohne das im Objektivprogramm befindliche Mir 1:2,8/37 mm - "Mir" heißt Frieden - ist die Zenit ein ganz und gar friedliches Gerät, dessen heutzutage ungewohnt lauter Spiegelschlag allenfalls Vögel aufscheucht. Technisch ist die Zenit von einer entwaffnenden Rückständigkeit, die ihren Charakter bestimmt und die sie so sympathisch macht. Den einzigen Tribut an den Fortschritt entrichtet sie in Form der beiden Leuchtdioden im Sucher, die beide gleichzeitig aufleuchten, wenn Zeit und Blende der Lichtsituation gemäß exakt eingestellt wurden. Immerhin mißt die Kamera bereits durch das Objektiv, das äußerlich dem Standard-Takumar einer Pentax Spotmatic gleicht wie ein Ei dem anderen. Konstruktive Raffinessen sucht man bei der Zenit 12XP vergebens, die Blitzsynchronzeit ist lang (1/30 Sekunde), der Verschlußzeitenbereich kurz (1/30 Sekunde bis 1/500 Sekunde) und B. Der horizontal ablaufende Gummituch-Schlitzverschluß ist einfach, aber funktionssicher konstruiert. Die Filmempfindlichkeitseinstellung umfaßt nur den schmalen Bereich von ISO 25/15xGRADx bis ISO 400/27xGRADx. Das klingt dramatischer, als es ist, denn die fotografische Praxis lehrt, das man nur in wenigen Fällen zu höchstempfindlichem Filmmaterial greift. Als Signal zögernden Fortschritts darf der Mittenkontakt im Sucherschuh gewertet werden; ein zusätzlicher Kabelanschluß ist ebenfalls vorhanden.
Kann die Zenit 12XP schon bei der bloßen Betrachtung eine gewisse fossile Ausstrahlung nicht verleugnen, so gilt dies erst recht für das Fotografieren
mit der russischen Kamera. Der Schnellspannhebel fühlt sich schwergängig an, und der schornsteinförmige, weit aus der Deckkappe herausragende Auslöser verleidet einem den Umgang mit der 12 XP am meisten. Er arbeitet mit einem ellenlangen Hub, muß er doch gleichzeitig die Belichtungsmessung einschalten, die Arbeitsblende arretieren, den Verschluß aktivieren und den Spiegel hochklappen lassen. Eine derartige Überfrachtung mit Funktionen, zu denen sich noch das Einschalten des Vorlaufwerks und die T-Funktion ähnlich wie B, nur kann während der Belichtung der Auslöser arretiert werden - gesellen, eliminiert jeden exakten Druckpunkt. Man ist deshalb häufig darüber erstaunt, daß die Kamera zunächst nicht auslöst, es dann aber unter hohem Zeigefingerdruck plötzlich scheinbar unmotiviert tut.
Das Sucherbild besticht nicht gerade durch große Helligkeit, und der Einblick hat etwas tunnelartiges, weil die leicht unsauber verarbeiteten Kanten des Prismas zum Vorschein kommen. Es zeigt außerdem kaum mehr als 80 Prozent des tatsächlichen Bildfelds. Arbeiten mit der Zenit 12 XP heißt fotografieren pur, verstärkt durch drastischen Konsumverzicht. Die Grundübungen einer jeden Kamera, richtig belichtete und scharfe Aufnahmen zu machen, beherrscht die Zenit erstaunlich gut. Die Bildqualität ist sogar hervorragend und hält jeden Vergleich mit japanischen Systemkameras aus. Wem das nicht genügt, der kann sich über die umfangreiche M-42-Objektivpalette nahezu jeden Aufgabenbereich mit der simplen Kamera erschließen. Mit den wenigen Unzulänglichkeiten muß man sich arrangieren, perfekte Kameras gibt es schließlich haufenweise.
Ist die Zenit nun trotzdem nicht billig genug? Radio Eriwan würde antworten: Im Prinzip nein, denn wenn sie noch billiger wäre, wäre sie geschenkt.
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