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Artikel
1997
Test & Technik
Großformatkameras aus dem Hobbykeller
Panorama Eigenbau
Auf der photokina vor zwei Jahren machte Dr. Kurt Gilde mit einer selbstgebauten Panoramakamera, die selbst Fachleute verblüffte, zum ersten Mal Furore. Jetzt geht er mit einem neuen Modell, der Gilde 66-17x 6 S, in Serie.
Das ist keine Kamera, das ist ein Kunstwerk, hatte ein Konstrukteur des renommierten Spezialisten für Großformatkameras Linhof beim Anblick der ersten Eigenbau-Panoramakamera des Rintelner Augenarztes Dr. Kurt Gilde bewundernd geäußert. Das große Echo, das Deutschlands kleinster Kameraproduzent mit seiner Gilde Nr. 1, die es bis heute nur in einem einzigen Exemplar gibt, auslöste, hat den Bastler beflügelt weiterzumachen. Das Ergebnis: Die Gilde 66-17x6 S, eine Mehrformat-Kamera für Rollfilme mit variablem Aufnahmeformat vom Format 6x6 Zentimeter bis zum 17x6-Zentimeter-Panoramabild. Diesmal soll die Kamera nicht nur ein Unikat bleiben. Dr. Kurt Gilde hat seine Konstruktion so angelegt, daß bei entsprechender Nachfrage eine Kleinserie für Liebhaber in einer Auflage von fünf bis sechs Kameras möglich ist. Eines der interessantesten Ausstattungsmerkmale dieser ganz und gar in Heimarbeit gefertigten Großformatkamera ist die Möglichkeit, verschiedene Aufnahmeformate auf einem Film zu belichten. Mit integrierten Abdeckschiebern kann hier die Größe das Bildfensters jederzeit verändert und der Rollfilm wahlweise mit 6x6, 6x9, 6x12 oder 6x17 Zentimeter großen Fotos belichtet werden. Da sich die beiden Schieber für die Bildfensterveränderung, also die Formatwahl, unabhängig voneinander verschieben lassen, ist in der Vertikalen für die drei Formate 6x6, 6x9 und 6x12 auch eine Shiftung möglich, ohne die Optik zu verstellen. Die Verstellung kann in den Formaten 6x6 und 6x9 Zentimeter in zwei Stufen von 14 und 28 Millimetern beziehungsweise 21 und 42 Millimetern vorgenommen werden. Beim Format 6x12 Zentimeter steht nur eine Stufe mit 28 Millimetern zur Verfügung. In der Horizontalen ist die Shiftung für alle Formate nach oben und unten bis zu 15 Millimeter durch die Objektiv-Verstellung über Rändelrad und Zahnstange vorzunehmen. Um die Shiftung auch im Sucher erkennbar werden zu lassen, hat der Kameratüftler aus Rinteln verschiebbare Masken entwickelt. Nur die Objektive zu der Eigenbau-Kamera wurden nicht im Hobbykeller des Augenarztes hergestellt. Sie stammen aus dem Hause Schneider-Kreuznach.
Die Gilde Panoramakamera läßt sich mit den Superangulon-Objektiven 5,6/65 mm, 5,6/75 mm und 5,6/90 mm sowie mit dem Apo Symmar 5,6/15 mm bestücken. Für den Schutz vor unerwünschtem Lichteinfall beim Objektivwechsel besitzt die Kamera einen zweiteiligen integrierten Schieber.
Selbst den Sucher stellt Kurt Gilde in Eigenbau her. Dazu hat sich der Augenarzt von einem befreundeten Optiker eine ausrangierte Linsenschleifmaschine besorgt, mit der er die gekauften Linsen auf die benötigte Größe bringt. Die Basis des Suchers ist für ein 90-mm-Objektiv ausgelegt. Für die anderen Brennweiten sind ein Maskenhalter und die entsprechenden Masken erforderlich. Minus- beziehungsweise Plus-Linsen verkleinern oder vergrößern den Bildwinkel des Suchers. Der Film wird mit einem großen Rändelrad transportiert, dessen Achse in einem Freilauf gelagert ist, so daß sich das Rad nicht zurückstellen läßt. Auch die Filmumlenkrollen laufen in Speziallagern. In der Rückwand der Kamera sind kleine rote Fenster untergebracht, von denen jeweils eins für die Beobachtung des Filmtransports - je nach verwendetem Format bestimmt ist. Wurde für die federnd gelagerte Andruckplatte der ersten Gilde-Kamera die Stahlfläche einer Maurerkelle umfunktioniert, so hat der Bastler inzwischen ein Nirosta-Stahlblech von 0,8 Millimetern Stärke auftreiben können.
Besonders stolz ist Dr. Kurt Gilde auf die eingefrästen Dichtungen, die die Kamera trotz der vielen beweglichen Teile absolut lichtdicht machen. Das Kameragehäuse selbst wurde aus Aluminium-Profilschienen von einem Millimeter bis zu drei Millimetern Stärke und zwei Millimetern starken Aluminium-Blechen hergestellt, die schwarz eloxiert sind. Außen sind mit Zaponlack überzogene und mattsilber verchromte Bleche sowie Messing-Profilschienen im Gehäuse seiner Kamera verbaut, die mit Objektiv 2500 bis 3500 Gramm (je nach Objektiv) wiegt. Zusammengeschraubt wurden alle Teile mit zwei Millimeter starken Messingschrauben, teilweise wurde auch geklebt und hartverlötet. Im September letzten Jahres hatte sich Dr. Kurt Gilde entschlossen, seinem Erstlingswerk noch eins drauf zu setzen. Im Dezember schloß er seine Planungen ab und machte sich an die Ausführung. Vier Monate arbeitete der Augenarzt, der sich im zweiten Bildungsweg sein Studium erkämpfte und eine Feinmechaniker-Ausbildung besitzt, an Schraubstock und Drehbank, bis ein erster, gebrauchsfertiger Prototyp vorlag. Erst im Juni war dann die endgültige Version fertig.
"Anfangs wollte ich mir selbst eine Kamera bauen, die meiner Auffassung von Fotografie entspricht. Eine Kamera, die einen zwingt, bedächtig an ein Motiv heranzugehen, sich mit ihm auseinanderzusetzen, und nicht dazu verführt, es einfach Abzuschießen'." Die Firma Cullmann hat Dr. Gilde eingeladen, sein neues Modell auf der photokina auf ihrem Stand zu präsentieren. Bei Bedarf will der Eigenbauer eine Kleinserie für Liebhaber auflegen. Für Kamera mit Objektiv muß der Käufer allerdings mit etwa 12000 DM rechnen.
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