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Service Kaufberatung

Exakta 66 und Kiev 60

Mittelformat-Basis

Der preisgünstige Einstieg ins Mittelformat bedeutet gleichzeitig den Ausstieg aus der automatisierlen und komfortablen Fotografie. Die Nachfahren der Dresdner Pentacon Six, mechanische Kameras für das 6x6-Format, haben ihren ganz eigenen Reiz. Exakta 66 und Kiev 60 bieten Fundamentales für 1000 beziehungsweise 2000 Mark.

Dem eingefleischten Kleinbildfotografen erscheinen die Gehäuse von Kiev 60 und Exakta 66 zunächst wie zu groß geratene Kleinbild-Spiegelreflexgehäuse. Mit einer Bauhöhe von knapp 11 Zentimetern (ohne Knöpfe und Prisma) und einem Gewicht von knapp zwei Kilogramm sprechen die beiden vollmechanisch gesteuerten und vornehmlich aus Metall bestehenden Mittelformat-Kameras eine ganz eigene Sprache.

Fundamentales

Als direkte Nachkommen der seit 1990 nicht mehr hergestellten Pentacon Six können beide Modelle auf eine lange Geschichte zurückblicken. Schon 1956 wurden die grundlegenden Daten vorgegeben: 6x6-Format in SLR-T-Form, Wechseloptiken, Abblendtaste und ein Tuch-Schlitzverschluß im Gehäuse, der Belichtungszeiten von einer bis 1/1000 Sekunde ermöglicht, der allerdings auch - im Gegensatz zu den im Mittelformat gebräuchlicheren Zentralverschlüssen nur eine schnellste Synchronzeit von 1/30 Sekunde bietet.
Lediglich kleine Verbesserungen, wie eine automatische Aufzugssperre nach dem 12. und dem 24. Bild, ein Bildzähler und eine Fresnellinse im Sucher, führten 1967 zur Pentacon Six, für die ein Jahr später schon ein TTL-Prisma herausgebracht wurde.

T-Form

Die T-Form ist unter Mittelformat-SLR-Kameras nicht sehr weit verbreitet. Neben den beiden hier besprochenen Modellen gibt es nur noch die Pentax 67 mit dieser Konstruktion, wie der Name schon andeutet, allerdings mit dem Aufnahmeformat 6X7 Zentimeter. Ein Grund dafür ist, daß diese Konstruktion das sonst im Mittelformat übliche Filmwechseln per Magazintausch nicht ermöglicht. Im Gegenzug hat die T-Form jedoch den Vorteil, daß die Kameras mit Schnellschalthebel und bei Verwendung eines (TTL-) Prismas ähnlich unkompliziert einzusetzen sind wie Kleinbild-Spiegelreflexkameras und dabei dennoch den entscheidenden Qualitätsvorteil durch das größere Format bieten.

Russisches Pendant

1971 brachten russische Konstrukteure des Zavod Arsenal Kiev eine Kamera auf den Markt, für deren Entwicklung die Dresdner Pentacon Six Pate gestanden hatte: die Kiev 60. Doch ist diese keine bloße Kopie: Details wie die größere Mattscheibe und der Schnappverschluß der Rückwand zeichnen sie als Fortentwicklung der Pentacon Six aus.
Mit den grauen Gehäusedeckeln aus Aluminium und dem recht schlichten Kunststoffbezug scheint auch das heutige, von der Boy Siek KG in Wallau/Lahn vertriebene Gehäuse aus jener Zeit zu stammen. Die gerade geschnittenen Kanten und zaghaften Rundungen lassen die Kiev 60 als Fels in der Brandung von Ergonomie und modernem Design erscheinen. Dennoch läßt sich das Gehäuse sicher anfassen - was auch nötig ist, da die Mechanik in dieser Dimension dem Fotografen doch eher grob als feinmotorische Fähigkeiten abverlangt.
Mit einem 200-Grad-Schwung des Schnellschalthebels werden der Film transportiert, der Verschluß gespannt, der Spiegel nach unten geklappt und der Blick freigegeben auf die große Mattscheibe im Faltlichtschacht. Der erlaubt bei der Kiev nicht nur das Ausklappen einer Lupe zum besseren Scharfstellen des beidäugig komponierten Bildes. Wer eine höhere Aufnahmeposition in Augenhöhe braucht, klappt einen kleinen Spiegel nach innen, der dann einen einäugigen Durchblick von hinten ermöglicht. Allerdings erscheint das Bild dann nicht nur seitenverkehrt, wie auf der Mattscheibe üblich, sondern steht auch noch auf dem Kopf.

Modernere Variante

Wer es seitenrichtig und noch mit integrierter Belichtungsmessung haben will, der setzt an die Kiev das im Set mitverkaufte TTL-Prisma an. So kann die Kamera ähnlich wie eine Kleinbildkamera verwendet werden. Die über eine Drehscheibe am Prisma ermittelten Werte müssen dann aber noch per Hand auf die Kamera übertragen werden. Außerdem drängen sich die beiden Leuchtdioden im Sucher dem Blick nicht gerade auf.
Die Exakta 66 ist der direkte Nachfolger der Pentacon Six. Nach einer Übergangsphase wird sie jetzt wieder im alten Dresdner Werk gefertigt.
Neben der für 120er oder 220er Rollfilm umschaltbaren Filmandruckplatte bekam die 66 gegenüber der Six eine gestalterische Rundumerneuerung. Die Gummiarmierung ist sehr griffig und macht das ohnehin widerstandsfähige Gehäuse auch gegen Kratzer unempfindlich. Außerdem kamen elektronische Kontakte für das TTL-Prisma der Firma Schneider-Kreuznach hinzu. Über diese Kontakte wird die kameraseitige Einstellung von Zeit und Blende direkt auf das Prisma übertragen und muß so nicht zweimal eingestellt werden. Mit 1000 Mark ist dieses Zubehörteil nicht ganz billig, beschleunigt aber das Arbeiten @t der Exakta erheblich.
Schneider Dresden bietet neben der 66 auch eine verbesserte Version, die Exakta 66 Modell 2, an. Abgesehen von der Markierung "MOD 2" auf dem Schnellschalthebel sind beide äußerlich identisch. Das Modell 2 weist aber durch die rahmenlose Mattscheibe ein um 18 Prozent größeres Sucherbild auf, wobei bei beiden Kameras die Mattscheiben leicht herausnehmbar sind. Außerdem schnappt beim Modell 2 die Rückwandverriegelung selbsttätig zu, während bei der Vorgängerin der Verriegelungsstift mit der Hand eingerastet werden muß.
Gegenüber der Kiev 60 besitzen die Exakta-Modelle einen mechanischen Selbstauslöser mehr. Zudem ist der Spiegelschlag bei den Exakta deutlich besser gedämpft, was um so nötiger ist, als weder die Kiev noch die Exaktas eine Spiegelvorauslösung anbieten. Ein Pluspunkt für die Kiev ist der Transporthebel, der einen kleineren Weg zurücklegen muß als bei den Exaktas.

Bildvergleich

Die Kiev 60 macht gegenüber dem modernisierten Design der Exakta einen groben und einfachen Eindruck. Der Suchereinblick in das Prisma zeigt neben dem Motiv wegen der nicht einheitlich geschwärzten Innenseiten auch Ecken und Kanten. Auch die Blendenlamellen im Objektiv sind nicht tiefschwarz beschichtet, was unter Umständen im Objektiv leichte Reflexionen auslösen kann.
Für unseren Bildvergleich haben wir eine Hauswand aus etwa fünf Metern Entfernung bei Blende 8 aufgenommen und bei 20 und 40facher linearer Vergrößerung aus der Nähe betrachtet. Die Exakta steuerte durchschnittlich eine halbe Blende dunkler als die Kiev. In der Bildmitte war das Wolna 2,8/80 mm kaum von dem Xenotar 2,8/80 mm aus dem Hause Schneider-Kreuznach zu unterscheiden. An den Bildkanten jedoch ergab sich beim Kiev-Objektiv ein schwächerer Schärfeeindruck. Auch in den Schattenpartien ergab das Xenotar eine leicht härtere und kontrastreichere Zeichnung.
Die ähnlichen Bajonette verleiteten uns zum Wechseln der Objektive. Das Ergebnis: Die Objektive passen auf die jeweils andere Kamera. Im Schnitt steuerte die Exakta mit dem Wolna eine halbe Blende heller als mit dem eigenen Xenotar. Umgekehrt brachte Kiev mit dem Xenotar-Objektiv um eine halbe bis eine ganze Blendenstufe dunklere Ergebnisse.
Die Wechselsucher sind wegen der unterschiedlichen Anschlußnocken nicht zwischen den beiden Marken austauschbar.

Das Spar-System

Mit der Anschaffung der Kameragehäuse ist es aber noch nicht getan. Der engagierte Fotograf wünscht weiteres Zubehör, und gerade dort muß der Mittelformatbegeisterte meist tief in die Tasche greifen. Die Kiev-Kamera ist in dieser Hinsicht aufgrund ihres Set-Preises von nur knapp 1000 Mark eine große Ausnahme von dieser Regel.
Für das Kiev- und das Exakta-Gehäuse macht sich die lange Produktionsgeschichte bezahlt. Wer vor Gebrauchtware nicht generell zurückschreckt, kann nämlich zur Zeit äußerst günstige Pentacon-Six-Objektive erstehen. Aufgrund des über die Jahre gleichgebliebenen Bajonetts passen diese an beide Kamerasysteme. Bei der Kiev kann es vorkommen, daß die Bajonett-Manschette etwas schwergängig ist, doch vertragen die Metallteile einen etwas kräftigeren "Dreh".
Wohlklingende Namen wie Sonnar oder Flektogon - Objektive, die Carl Zeiss für das Pentacon-Gehäuse gebaut hat - sind in den verschiedenen Gebrauchtbörsen-Verzeichnissen gelistet, und das bei erstaunlich günstigen Preisen. So ist ein 4/50 mm für etwa 400 Mark zu haben, ein 5,6/500 mm nicht selten für 600 bis 700 Mark. Hin und wieder sind auch ein 30-mm-Fisheye für etwa 400 Mark oder ein 4/300 mm Pentacon für den gleichen Preis zu bekommen. Vergleichbares von anderen Mittelformat-Herstellern würde das Budget des Amateurs weitaus mehr belasten.
Bei der Verwendung der alten Carl-Zeiss-Objektive gibt es für die Exakta nur eine einzige Einschränkung: Die automatische Blendenübertragung am TTL-Prisma funktioniert nur über den Steuernocken an den modernen Schneider-Kreuznach-Objektiven. Den hatten die Carl-Zeiss-Optiken nicht. Das Arbeiten mit den Kameras regt ohnehin eher zum ruhigen Fotografieren an. Das Ermitteln der Belichtung in dem Handbelichtungsmesser paßt also vom Arbeitsstil her viel besser zu den Gehäusen als das "schnelle" Prisma. Allerdings ist das Schneider-Prisma sehr komfortabel. Es zeigt sogar außen, auf einem LC-Display die gemessenen Werte an. Das kann nicht ohne Strom funktionieren. Ins Kiev-Prisma passen drei Knopfzellen zu je 1,5 Volt. Das Schneider-Prisma braucht eine 6-Volt-Batterie.

Was für wen?

Der Umgang mit der Mattscheibe erfordert wegen der Seitenverkehrung des Bildes für den Neuling einige Übung, doch wird der Fotograf durch das große Bild belohnt, das zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Motiv einlädt. Auch die Beschränkung auf die zwölf Bilder beim 120er Mittelformat-Film verhindert die Erzeugung von Bilderfluten und begünstigt den bewußten Umgang mit dem Bild. Mit dem Set-Preis ist die Kiev 60 umgeschlagener Preisbrecher im Mittelformat. Neben Kameragehäuse und TTL-Prismensucher sind hier das Standardobjektiv 2,8/80 mm, ein Lichtschachtsucher, zwei Zwischenringe, Filter und Kameraköcher enthalten. Bei diesem Preis nimmt man die etwas lieblose Verarbeitung, ein nicht aktualisiertes Gehäuse und möglicherweise einige Anfangsschwierigkeiten in Kauf. So brach bei unserer Testkamera während Einlegens der Batterie am TTL-Prisma gleich der Kontakt mit ab. Alle mechanischen Teile funktionierten grobschlächtig, aber tadellos.
Der neue Kiev-Vertrieb, die Boy Siek KG in Wallau/Lahn, ist im Begriff, eine Servicewerkstatt in Deutschland einzurichten, so daß die Reparatur im Normalfall auf üblichen Standard verkürzt werden können.
Die Grundausstattung der Exakta 66 - Gehäuse, Lichtschacht, 2,8/80 mm Schneider-Kreuznach-Xenor - kostet zirka 2000 Mark, das Modell 2 mit größerer Mattscheibe und automatischer Rückwandverriegelung rund 300 Mark mehr. Für diesen Preis ersteht der Fotoamateur eine grundsolide Kamera. Mit dem TTL-Prisma ist sie sowohl zum schnell einsetzbaren "Schnappschußgerät" mit hoher Bildqualität als auch für gestalterische Aufgaben zu erweitern. Beroflex in Berlin bietet ein ganzes System mit Balgengerät, Zwischenringen sowie diversen Schneider-Kreuznach-Objektiven an. Die Exakta bietet im System auch für ausgefallene Wünsche eine Antwort, überzeugt durch solide Verarbeitung und namhafte Optiken, die für sie angeboten werden.
Beide Kameras haben den Vorteil, daß viele im Gebrauchthandel sehr günstig angebotene CarlZeiss-Objektive verwendbar sind, die dem renommierten Namen Ehre machen.

PRO

EXAKTA 66

großes Systemangebot
automatische Zeit- und Blenden-Übertragung mit TTL-Prisma
grundsolide Verarbeitung
umschaltbar für 120er und 220er Filme

KIEV 60

konkurrenzlos günstiger Preis (im Set)
größere Mattscheibe
kleinerer Weg für Schnellschalthebel

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