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Artikel
1997
Test & Technik
Das neue Spitzenmodell von Hasselblad
Die sanfte Revolution
Der schwedische Mittelformathersteller Hasselblad, weltweit Marktführer in diesem Segment, geriet zunehmend unter Zugzwang. Trotz aller Tugenden wie Wertbeständigkeit, Qualität und Systemkompatibilität über Jahrzehnte erwarteten die Anhänger der Marke längst ein neues, fortschrittliches Modell. Jetzt ist sie da die Hasselblad 205 TCC.
Tradition verpflichtet. Keiner der Kamerahersteller, noch nicht einmal Leica, nimmt diese Verpflichtung so ernst wie die Victor Hasselblad Aktiebolag in Göteborg. Da gibt es keine Brüche in der Modellpolitik, da hat alles seine festgefügte Linie, selbst scheinbare Nebensächlichkeiten wirken verbindlich. So präsentierten die Schweden auch ihre seit über einem Jahrzehnt erste wirklich neue Kamera im März in New York. So bereits geschehen 1948 mit der 1600F und 1957 mit der 500 C. Das auf Anhieb Überraschende an der neuen Hasselblad 205 TCC ist, daß sie - selbst aus näherer Distanz betrachtet - gar nicht aussieht wie eine neue Kamera, sondern wie eine ganz normale 2003 FCW. Vielleicht ist es nur so zu erklären, daß bereits zwei Jahre vor Beginn der Serienfertigung ein paar handverlesene Profifotografen in aller Ruhe und unbehelligt erste Erfahrungen mit dem neuen Modell sammeln konnten, über das schon seit der photokina 1984 spekuliert wird. Zuletzt und sehr zutreffend geschah dies im Märzheft von COLOR FOTO, obwohl Hasselblad, seine Vertriebsfirmen und die Fotografen bis zur Präsentation bewundernswert "dicht hielten".
Rein äußerlich wirkt die neue Hasselblad also wenig spektakulär und gar nicht neu. Nur wenn man aufmerksam die linke Kameraseite betrachtet, fallen ein paar Hasselblad-untypische Bedienungselemente auf, während rechts bis auf das Selbstauslösersymbol an der Spiegelarretierungstaste alles unverändert geblieben ist. Perfekteres Novitäten-Understatement als bei der neuen Hasselblad ist also kaum denkbar.
Kein Plagiat
Unter dem edlen und hochwertigen Metallgehäuse der Hasselblad 205 TCC, das vom Grundaufbau her dem der anderen Modelle genau entspricht, hat sich allerdings eine Menge ereignet, wobei, bevor wir ins Detail gehen, ein kleiner Exkurs in die technische Philosophie dieser bemerkenswerten Kamera unumgänglich ist.
Hasselblad ignorierte bewußt einige moderne Trends im Bau von Kameras, die sich mittlerweile auch in der Konzeption von Mittelformat-Modellen wiederfinden. So widerstand man in Göteborg der kostensparenden Verlockung, das Ganzmetallgehäuse der Hasselblad durch Kunststoffspritzgußteile zu ersetzen. Auch von modernen Designspielereien nahm die Entwicklungsabteilung Abstand. Es blieb beim traditionellen Erscheinungsbild der Kamera, seit 1948 genauso Markenzeichen von Hasselblad wie der Schriftzug. Manche Formen kann man eben nicht verbessern, und bevor man sie um des Änderns willen und der Mode wegen verändert, sollte man sie beibehalten. Hasselblad schielte auch nicht auf die immer zahlreicher werdenden Elektronik-Features der Kleinbild-Spiegelreflexkameras. Im Gegensatz zur Rolleiflex 6008 standen sie bei der Entwicklung der 205 TCC nicht Pate. Blenden- und Programmautomatik sucht der geneigte Fotograf bei der neuen Hasselblad vergebens, und ihm wird auch nicht durch völlige Energieabhängigkeit und durch einen schweren, integrierten Motor, der die Handlichkeit untergräbt, das Leben schwer gemacht. Die neue Hasselblad hat nichts von jener typischen Handlichkeit verloren, die seit jeher eine Hasselblad - abgesehen von der EL und deren Nachfolgemodellen - ausmacht. Das weitgehend unveränderte Gehäuse und die beibehaltene Grundkonzeption implizieren bereits einen weiteren wichtigen Schritt, der ebensolchen Mut und den Willen, gegen den Strom zu schwimmen erfordert wie die vorher genannten. Das Hasselblad-Bajonett wurde unverändert beibehalten, damit können alle ab 1957 gebauten Carl-Zeiss-Objektive verwendet werden. Auch die alten Magazine passen an die neue Kamera. In der Funktion gilt es allerdings, gewisse Einschränkungen hinzunehmen, auf die wir später noch zu sprechen kommen.
Trotz dieser weitgehenden Beschränkung auf das Wesentliche gelang es den Göteborger Kamerakonstrukteuren mit teilweise unkonventionellen und sogar gänzlich neuen Mitteln, den Bedienungskomfort und vor allen Dingen die Belichtungssicherheit zu erhöhen. Statt mit überflüssigen reißerischen Ausstattungsmerkmalen die Fotografen eher zu verunsichern als sie zu unterstützen, kümmerte sich Hasselblad bei der 205 TCC um ein eminent wichtiges Problem, nämlich die optimale Belichtung in allen Fotografiersituationen - und mögen diese noch so schwierig sein. Längst fällig bei einer Kamera aus Göteborg war die in das Kameragehäuse integrierte Belichtungsmessung. Zum ersten Mal sind bei einem Produkt der renommierten schwedischen Marke TTL-Prisma und externer Belichtungsmesser überflüssig, um das vom Objekt reflektierte Licht zu messen. Die in das Kameragehäuse eingebaute Silizium-Fotodiode übernimmt dies; sie zeichnet sich durch eine sehr hohe Empfindlichkeit aus - immerhin reicht ihr Meßbereich von Lichtwert -1 bis Lichtwert 20 bei ISO 100/21xGRADx und Blende 2,8. Das besondere an der integrierten Belichtungsmessung ist aber, daß sie sich nicht - wie bei der Konkurrenz aus Braunschweig üblich - in der Meßcharakteristik verändern läßt. Es gibt keine Umschaltung von mittenbetonter Integralmessung auf Spotmessung, sondern nur die Spotmessung. Das im Sucher sichtbare Spotmeßfeld Umfaßt ein Prozent des Bildbereichs, es bildet einen zentralen Kreis mit einem Durchmesser von sechs Millimetern. Bei Verwendung des Standardobjektivs Planar 2,8/80 mm entspricht dies einem Meßwinkel von vier Grad.
Die neue Hasselblad 205 TCC - die drei Buchstaben stehen für "Tone and Contrast Control" und beziehen sich auf das Belichtungsmeßsystem basiert konstruktiv auf der 2003 FCW, auch wenn sie mit ihr im wesentlichen nur das Gehäuse und den Schlitzverschluß gemeinsam hat. Diese bewährten Grundkomponenten reicherten die Göteborger-Kamerakonstrukteure mit völlig neu entwickelten elektronischen Komponenten an, die nur durch zahllose geniale Kunstgriffe in die vorgegebenen Gehäusemaße unterzubringen waren.
Alle Objektive und Magazine des Hasselblad-TCC-Systems kommunizieren mit dem Kameragehäuse über moderne digitale, sogenannte "Databus-Verbindungen", wobei nur zwei vergoldete elektrische Kontakte für den Datenfluß und zwei weitere für die Stromversorgung benötigt werden. Das Gehirn der Kamera bildet ein Mikroprozessor, eine CPU-Zentraleinheit, die alle benötigten Daten berechnet und alle Funktionen steuert. Theoretisch funktioniert das so: Das Objektiv überträgt Informationen, wie etwa den vorgegebenen Blendenwert, in das Kameragehäuse und zur CPU. Das bilderzeugende Licht wird durch das Objektiv projiziert. Das Magazin überträgt die Empfindlichkeit des eingelegten Films und wenn gewünscht - die Kompensationswerte für kontrastangepaßte Schwarzweißfilmentwicklung an die "Central Processing Unit". Der Fotograf gibt die entsprechenden Daten ein, fokussiert und bestimmt den Bildausschnitt. Die gemessenen, eingestellten und von der CPU errechneten Daten werden über ein LC-Display im Sucher angezeigt; der Fotograf hat die Freiheit, sie über modifizierte Eingaben zu verändern.
Leichte Bedienung
In der Praxis findet der Fotograf auf der linken Kameraseite als Kommunikationsmittel mit der Kamera einen Multifunktionswähler und zwei Einstellknöpfe. In der Mitte des Multifunktionswählers befindet sich noch ein Meßwertspeicherknopf. Alle Bedienungselemente sind das fiel schon nach der ersten Begegnung mit der neuen Hasselblad auf - ausgesprochen ergonomisch gestaltet. Der typische Hasselbladgriff mit der Kamera im linken Handteller kann beibehalten werden.
Der Multifunktionswähler besitzt fünf Einstellungen, die mit den Buchstaben A, Pr, D, Z und M markiert sind. "A" bedeutet Zeitautomatik nach Blendenvorwahl. Blende und Verschlußzeit erscheinen auf dem LC-Display im Sucher. "Pr" bedeutet nicht etwa Programmautomatik, sondern Programmfunktion. In dieser Stellung des Wahlschalters erscheint der ISO-Wert des angesetzten Magazins. Wenn es sich um kein TCC-Magazin handelt TCC-Magazine und Objektive sind mit zwei markanten blauen Streifen gekennzeichnet, die auch die Kamera verzieren -, kann man die Empfindlichkeit über "Pr" manuell eingeben. Außerdem kann der Fotograf die Verzögerungszeit des Selbstauslösers oder Warngrenzen für den Belichtungsspielraum eingeben. In der Differenzfunktion zeigt der eingebaute Spotbelichtungsmesser sein ganzes Können. Der Fotograf kann mit dieser Funktion ein diffizil beleuchtetes Motiv per Spotmesser abtasten. Zunächst wird ein Motivbereich mittlerer Helligkeit angemessen und dieser Meßwert gespeichert. Das LC-Display informiert in Lichtwerten darüber, wie weit jede Einzelmessung vom ersten gespeicherten Meßwert abweicht. Darüber hinaus kann der Fotograf über den vorher einprogrammierten Belichtungsspielraum des verwendeten Films feststellen, ob das Motiv der vorgegebenen Toleranz gerecht wird. Die Zonenmeßfunktion ist eine Referenz an Ansel Adams, den Erfinder des Zonensystems.
Hochentwickelte Spotmessung
Die Hasselblad 205 TCC ermöglicht so die exakte professionelle Methode, um ein Motiv mit Hilfe des Spotmessers zu analysieren und die geeignetste Belichtung zu finden, um alle Motivtöne innerhalb des Filmbelichtungsspielraums zu vereinen. An den TCC-Magazinen lassen sich sogar positive oder negative Entwicklungsänderungen programmieren. Der Mikroprozessor der Kamera simuliert dann die programmierte Konstraständerung und verändert die gemessenen Zonen automatisch so, daß sie mit der korrigierten Filmentwicklung korrespondieren. Eine Meßmöglichkeit über das Zonensystem bietet die Hasselblad erstmals in einer Kamera integriert, bislang war dies nur mit dem Gossen Spotmaster F möglich.
Natürlich kann man bei der neuen Hasselblad auch einen einfachen manuellen Belichtungsabgleich durchführen. Hierbei ist dem Fotografen der in die Kamera eingebaute Belichtungsmesser ebenso behilflich wie das Sucherdisplay, das bei korrekter Anzeige eine "0" signalisiert. Nachdem Hasselblad inzwischen für alle Modelle - die 500 C/M ausgenommen - die TTL-Blitzlichtmessung auf der Filmebene eingeführt hat, nimmt es nicht Wunder, daß auch die 205 TCC mit diesem bewährten Ausstattungsmerkmal aufwartet. Allerdings wurde auch bei dieser Funktion der Bedienungskomfort weiter perfektioniert. So wird die Verschlußzeit der Kamera automatisch auf 1/90 Sekunde umgestellt, sofern eine kürzere Zeit vorher eingestellt war. Der Fotograf hat aber die Freiheit, längere Verschlußzeiten zu wählen, wenn das Umgebungslicht für die Aufnahme berücksichtigt werden soll.
Das Sucherdisplay zeigt die Blitzbereitschaft an. Nach der Belichtung warnt es, wenn der Blitz eine Über- oder Unterbelichtung erzeugt hat. Diese Funktionen sind allerdings nur mit dem Hasselblad Proflash 4504 mit eingebautem SCA Adapter oder mit einem Met/ Blitzgerät und einem externen Adapter 390 und 590 möglich. Völlig neu bei einer Hasselblad und selten bei einer Mittelformatkamera ist der Selbstauslöser, dessen Vorlaufzeit über die Kamerafunktion "Pr" Programmmiert werden kann.
Aus Schweden kommt die sanfte Revolution in Gestalt der Hasselblad 205 TCC. Obwohl sie auf bewährten Hasselblad-Errungenschaften aufbaut, wäre der Begriff Evolution nicht ganz gerechtfertigt, denn die Kamera wartet mit völlig neuen Ausstattungsmerkmalen auf. "Revolution" auch schon deshalb, weil die Kamera den bemerkeriswerten Mut ihrer Konstrukteure verkörpert, gegen den Strom zu schwimmen. Der Versuchung, den Bedienungskomfort moderner Kleinbildkameras zu imitieren, erlag man in Göteborg nicht.
Wen der Preis von knapp 15000 DM für die Grundausstattung mit TCC-Magazin und TCC-2,8/80 mm Planar abschreckt, der darf nicht vergessen, daß derart sophistische Technik ihren Preis hat. Bei Automobilen, Armbanduhren und in der Unterhaltungselektronik hat man sich daran gewöhnt warum billigt man es einzigartigen Kameras nur zähneknirschend zu?
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