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Artikel
1997
Beratung
Kameraklassiker von morgen: Minolta XM
Der Dinosaurier
Anfang der siebziger Jahre schuf Minolta eine heute fast vergessene Kamera, die den Profimodellen Nikon F2 und Canon F-1 Konkurrenz machen sollte. Man erhoffte sich von der XM den Durchbruch der Marke auch im Profisegment. Aber die Berufsfotografen waren zu konservativ, und die große, schwere Kamera war zunächst nicht genügend ausgereift.
Technische Höhenflüge sind selten kommerzielle Erfolge. Es fällt nicht schwer, für diese Theorie Beweise zu finden. Der legendäre Citroen DS brachte der Marke letztendlich tiefrote Zahlen ein, so daß sie von Peugeot übernommen werden mußte. Die von Telefunken initiierte Bildplatte nebst Abspielgerät war Anfang der siebziger Jahre ein kommerzieller Flop, und der Videorekorder, ursprünglich eine Philips-Erfindung, fristete solange ein Schattendasein, bis die Japaner billige Geräte in Massenproduktion herstellten. Auch auf dem Kamerasektor lassen sich eine handvoll Modelle aufzählen, die zwar technisch hochinteressant, wenn nicht sogar avantgardistisch zu nennen sind, andererseits jedoch nicht mit imponierenden Verkaufszahlen aufwarten können. Dazu gehören unter anderem die Rolleiflex SL 2000 F, die Minolta 110 Zoom SLR, die Pentax LX und die Minolta XM.
Anfang der siebziger Jahre waren bereits über eine Million Minolta-SLR-Kameras verkauft. Der Kamerariese aus Osaka hatte Geld genug in den Kassen, um es endlich den Konkurrenten Canon und Nikon gleichzutun und ein aufwendiges Flaggschiff zu entwickeln, das gleichzeitig die Funktion eines Image- und Technologieträgers wahrnehmen sollte. Wo es langgehen sollte, bestimmte in erster Linie Nikon mit der damaligen F in Photomic-Ausführung. Sie gab die Ausstattungsmerkmale vor, die Grundlage für die Konzeption der XM werden sollten. Im Lastenheft der Minolta-Konstrukteure standen folglich ein Wechselsucher, ein Titan-Schlitzverschluß, wechselbare Einstellscheiben und umfangreiches Systemzubehör für professionelle Ansprüche. Als revolutionär neues Merkmal an der XM - die in den USA XI hieß - bestach die elektronische Verschlußsteuerung, die sich erstmals bei einer Kamera mit Wechselsucher und Wechseleinstellscheiben fand. Die Kombination der elektronischen Verschlußsteuerung mit dem Automatik-Prismensucher ergab zusätzlich die Funktion der Zeitautomatik nach Blendenvorwahl. Im Prinzip bot die XM also nichts wahrhaftig Neues; die Zeitautomatik in Verbindung mit einem elektronisch gesteuerten Verschluß gab es erstmals 1970 bei der Asahi Pentax ES, und eine Profikamera mit Wechselsuchern und wechselbaren Einstellscheiben existierte als Profikamera ebenfalls in Gestalt einer Canon F-1 oder Nikon F/F2.
Im Zeitalter kompromißloser Fortschritts- und Technikgläubigkeit. in dem man sich damals noch befand, galt die XM mit Recht als Kamera der Zukunft. Monolithische integrierte Schaltkreise in Hybridtechnik mit insgesamt 41 Transistorfunktionen bildeten das Gehirn der Kamera und waren für Verschlußsteuerung, Belichtungsmessung sowie für die automatische Bildung der Verschlußzeit verantwortlich. In der XM-Werbung war von der "intelligenten Kamera" die Rede, das Schlagwort von der künstlichen Intelligenz dominierte den damaligen technischen Zeitgeist. Diesen verkörpert die XM par excellence, Größe und Gewicht der Kamera haben etwas Monumentales. und das kantige Design mit dem pfeilförmig zugespitzen AE-Prismensucher steuert die individuell-futuristische Note bei, die sie von den Profikameras von Canon und Nikon unterscheidet. Ein neuartiges Detail war damals auch die genoppte Sensorleiste neben dem Selbstauslöser, die auf leiseste Berührung ansprach und den Belichtungsmesser einschaltete.
Heute wirkt die XM ausgefallen und andersartig, eine Kamera, die Aufmerksamkeit erregt, gerade deshalb, weil nicht Canon oder Nikon draufsteht. Eine Profikamera von Minolta gab es nicht alle Tage, zuletzt war es die 9000 AF. Viele Berufsfotografen stehen jeder Art von Elektronik auch heute noch skeptisch gegenüber, geschweige denn im Jahre 1973, als bei diesen Kunden Nikon das Maß aller Dinge war und Canon im Profilager nur einen Achtungserfolg verbuchen konnte. Die Stückzahlen waren infolgedessen gering, die Verbreitung war es auch, und so ist die XM heute ein gesuchtes Sammlerobjekt, nicht nur in Kreisen eingefleischter Minolta-Fans. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis die Minolta-Techniker die Hybrid-ICs in den Griff bekamen; deshalb belasteten Kinderkrankeiten den Ruf der XM, die erst ab 1975 einen akzeptablen Reifegrad erreichte. Der größte Pferdefuß war allerdings das Fehlen eines leistungsstarken Motors, schon damals Bedingung für eine Kamera-Karriere in Reporterkreisen. Das war wohl eher ein Marketing- als ein Konstruktionsfehler, den Minolta schnellstens ausmerzte. Die XM-Motor erschien 1976 mit einem festangesetzten Triebwerk, dessen maximale Bildfrequenz 3,5 Bilder pro Sekunde betrug. Auch die Filmrückspulung erfolgte hier motorisch. Parallel dazu blieb die XM vorläufig weiter im Programm. Um für den neuen, mit der XM-Motor gestarteten Anlauf professionelle Fotografen ins Minolta-Lager zu locken, versah man die Kamera mit einem neuen, weniger markanten, weil glattflächigen AE-S-Sucher, der mit Leuchtdioden statt der traditionellen Meßnadel aufwartete. Für Unverwechselbarkeit sorgte aber vor allem ein voluminöser Kamerahandgriff, mit dem die verschweißte Kamera-Motor-Einheit besser gebändigt werden konnte. Auch heute noch bleibt unklar, warum man sich nicht für eine annehmbare Lösung beim Motor entschied.
Gerade wegen der kleinen Stückzahlen hatte die XM-Motor ihren Preis, nicht weniger als 3500 Mark kostete die voluminöse Kamera, selbst dann noch, als die 1984 nach einer Preissenkung auslief. Das Ende des Dinosauriers kam zwar nicht schnell, aber es war dennoch unaufhaltsam. Auch die extrem robuste Ausführung mit großzügiger und auf langjährige harte Beanspruchung der Bauteile ausgelegter Werkstoffqualität und das solide Messinggehäuse vermochten die typische Klientel letztendlich nicht zu überzeugen. Vielleicht scheiterte die XM auch am Image; auch Canon tut sich schwer auf einem von Nikon beherrschten Marktsektor. Fest steht, daß es eine solch aufwendig gebaute Minolta nie wieder gegeben hat. Gut erhaltene XM und XM-Motor sind rar, ein die Möglichkeiten dieser Kamera ausschöpfender Einsatz kann nicht schonend sein. Für XM-Exemplare im Zustand B müssen heute 800 bis 1000 Mark bezahlt werden. Die Nachfrage ist zwar gering, aber das Angebot noch geringer. Die XM-Motor ist eine echte Rarität, für die selbst in schlechtem Zustand mit starken äußeren Gebrauchsspuren 2000 Mark zu zahlen sind. Doch soviel ist gewiß: Die Minolta XM Dinosaurier hat jedenfalls einen Ehrenplatz unter den herausragenden japanischen Kamerasverdient.
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