← Zurück

Artikel

1997

Normtest

Hasselblad 205 TCC gegen Rolleiflex 6008

Führungskräfte

Seit ihrem Erscheinen im Jahre 1988 erhebt die Rolleiflex 6008 den technischen Führungsanspruch im Mittelformat. Der Erzrivale Hasselblad geriet zunehmend unter Zugzwang, ließ sich aber mit einer revolutionären Neuentwicklung Zeit, bis der neue große Wurf ins System paßte. Die Hasselblad 205 TCC ringt jetzt mit der Rolleiflex 6008 um die Vorherrschaft auf einem anspruchsvollen Sektor. Welche der beiden Spitzenkameras hat im Test die Nase vorn?

In ihrer technischen Konzeption unterscheiden sich beide Kameras deutlich voneinander, sie entpuppen sich bei näherer Betrachtung sogar als grundverschieden. Rollei und Hasselblad schlagen unterschiedliche Wege ein, um zum gleichen Ziel zu kommen, nämlich dem Mittelformat-Fotografen das Fotografieren leichter zu machen, damit er ohne Fehlbelichtungen zu optimalen Bildergebnissen kommt. Die Rolleiflex 6008 setzt dabei ebenso wie die Hasselblad auf ein bewährtes Konzept. Aufbauend auf der 6006 wartet die 6008 mit zahlreichen Ausstattungsmerkmalen auf, die man bisher nur aus der Kleinbildfotografie kannte. So läßt die Fülle der Belichtungsautomatik-Funktionen kaum Wünsche offen. Die 6008 kommt als echter Multiautomat daher. Ihre wesentlichen Ausstattungsmerkmale könnten, derart unkommentiert aufgelistet, aus dem Prospekt einer High-Technology-Kleinbild-Spiegelreflexkamera stammen: Zeitautomatik, Blendenautomatik, Kurzzeit-Programmautomatik, TTL-Blitzsteuerung, Spot-, Multispot- und Mehrzonen-Integralmessung sowie die Belichtungsreihenautomatik und der motorische Filmtransport von bis zu zwei Bildern pro Sekunde stünden jeder EOS oder Dynax gut zu Gesicht.
Ganz anders die Hasselblad. Zwar basiert auch die teure Schwedin auf einem bewährten Modell - die 2003 FCW stand bei der Entwicklung Pate -, mit aufwendigen Ausstattungsmerkmalen üblicher Manier wuchert die 205 TCC keineswegs. Die Schlitzverschlußkamera übt sich gegenüber der aufwendigsten Zentralverschluß-Rollei in Bescheidenheit. Sie ist lediglich in der Lage, die Verschlußzeit nach Vorwahl der Blende automatisch zu bestimmen, mißt das Blitzlicht auf der Filmebene und ermittelt die richtige Belichtung per gehäuseintegrierter Spotmessung. Es gibt kein Entweder - oder wie bei der Rollei, keine Zeit- oder Blendenautomatik, keine Spot- oder Integralmessung. Der Hasselblad-Fotograf muß mit den wenigen Gaben der 205 TCC auskommen. Ja, er muß sogar den Film selbst transportieren oder dies dem Winder überlassen, der es allerdings auch nur auf eine bescheidene Bildfrequenz von 1,3 Bildern pro Sekunde bringt. Der Vergleich scheint schon jetzt entschieden; die neue Hasselblad kann nach über fünfjähriger Entwicklung der Rolleiflex 6008 auf der technischen Seite kein Paroli bieten. Die Rollei bleibt absoluter Ausstattungssieger. Doch es wäre voreilig, dies so stehenzulassen, denn so absurd es klingt - dank ihres Konzepts der Beschränkung bietet die Hasselblad die Chance der Alternative. Sie ist Schlitzverschluß- und Zentralverschlußkamera in einem, sie ist Motorkamera und manueller Apparat in einem, und sie besitzt sogar einen raffinierten Selbstauslöser, den es bei der Rollei nicht gibt.

Belichtungsfunktionen

Das Geheimnis der neuen Hasselblad 205 TCC liegt bereits im Namen verborgen. "TCC" heißt "Tone and Contrast Control" und deutet bescheiden auf ein einzigartiges Belichtungsmeßsystem hin, das an Vielseitigkeit auch von dem der Rolleiflex nicht überboten werden kann, obwohl die Kamera aus Braunschweig gerade hier einiges zu bieten hat. Die mittenbetonte Mehrzonenmessung ist das Standard-Belichtungsmeßsystem der Rolleiflex 6008. Sie eignet sich für alle Motive mit normalem Kontrastumfang insbesondere bei Automatikbetrieb. Erst die Spotmessung erlaubt den Umgang mit diffizilen Lichtsituationen. Ihr Meßwinkel beträgt bei der Rolleiflex 6008 bei 80 Millimetern Brennweite nur drei Grad, und er wird über den Meßkreis im Sucher genau angezeigt. Die Spotmessung ist mit einem Meßwertspeicher kombiniert, der Fotograf kann also exakt das bildwichtige Element anmessen, auch wenn es sich nicht in der Bildmitte befindet. Als erste Mittelformatkamera verfügt die Rolleiflex 6008 auch über eine Multispotmessung. Mit dieser Methode können bis zu fünf Motivdetails, entweder Licht- oder Schattenpartien, einzeln angemessen werden. Der Kameracomputer berechnet aus diesen Einzelwerten den für die korrekte Belichtung des Motivs idealen Gesamtwert. Dieses Ergebnis wird vom Meßwertspeicher bis zur Aufnahme festgehalten. Durch zusätzliches Drücken der Memotaste kann der Fotograf den ermittelten Multi-Spot-Wert auf ähnliche Lichtverhältnisse übertragen.
Das Herz des noch ausgeklügelteren Hasselblad-TCC-Meßsystems ist ein sehr empfindlicher Vier-Grad-Spotbelichtungsmesser (bei 80 Millimetern Brennweite). Die Konstrukteure der 205 sind der Meinung, daß man mit einem hochpräzisen Spotbelichtungsmesser alle Belichtungsprobleme meistern kann. Eine mittenbetonte Integral- oder gar eine Mehrfeldmessung sucht man daher bei der teuren Kamera vergebens. Das Hasselblad-Meßsystem mißt schon ab Lichtwert -1 und ist damit deutlich empfindlicher als das der Rollei, das erst mit Lichtwert drei beginnt. In der mutigen Beschränkung auf nur eine einzige Meßmethode liegt natürlich eine gewisse Gefahr für den fotografisch Unkundigen. Der Hasselblad 205 TCC gehört sicher nicht zu diesen, sicher weiß er, daß er für eine Aufnahme ohne hohen Kontrast den Spotmesser in der Kamera auf einen mittelgrauen Motivton richten muß, bei kontrastreichen Motiven bei Verwendung von Diafilm die Spitzlichter und bei Negativfilm die Schatten anmessen muß. Beherzigt man diese einfachen Grundsätze, so gelingen in der Position Zeitautomatik problemlos richtig belichtete Bilder; allerdings würde man dabei die eigentlichen Finessen der Kamera ungenutzt lassen. Denn mit der 205 TCC kam man bei Einstellung des markanten Funktionswahlknopfes auf der linken Kameraseite auf "D" wie Differenz ein Motiv in seinem Kontrastumfang analysieren. Dabei visiert der Fotograf eine durchschnittlich beleuchtete Motivpartie an, das schlecht ablesbare Flüssigkeitsdisplay im Sucher zeigt bei Anmessen weiterer Motivpartien den genauen Unterschied in Lichtwerten von der ersten Referenzmessung an. Die Kamera ändert ihre Einstellung allerdings dabei nicht. Es bleibt dem Fotografen überlassen, inwieweit er die erste Messung auf der Grundlage der nachher erfolgten Einzelmessungen verändert. Er kann diese individuellen Anpassungen über die beiden "Up and Down" Einstelltasten unterhalb des Funktionswahlschalters vornehmen. Ein spezielles Merkmal der D-Einstellung liegt darin, daß die gespeicherten Meßeinstellungen sogar noch nach der Belichtung erhalten bleiben. Darüber hinaus offeriert die Hasselblad 205 TCC als einzige Kamera eine Belichtungsanalyse nach dem Zonenmeßsystem, das einst von Ansel Adams erfunden wurde. Bislang ermöglichte diese nur der Spotmaster F von Gossen. Eine solch differenzierte Art der Belichtungsmessung ist bisher einmalig bei einer Kamera. Die Rolleiflex muß sich deshalb in der Einzelwertung der Belichtungsmeßsysteme von der Hasselblad 205 TCC geschlagen geben. Allerdings holt sie bei den Belichtungsprogramm durch ihre hervorragende Ausstattung wieder auf. Im Verschlußzeitenbereich spiegelt sich die verschiedenartige technische Konzeption der beiden Kameras wider. Der Schlitzverschluß der Hasselblad arbeitet von der 1/2000 Sekunde bis zu vollen 16 Sekunden, die Rolleiflex realisiert einen Bereich von der 1/500 Sekunde bis zu vollen 30 Sekunden, wobei die Strichmarkierungen über der "500" auf dem Zeiteneinstellrad die 1/800 Sekunde andeuten, die mit den hochlichtstarken PQ-Objektiven Xenotar 2/80 mm und Tele-Xenar 2,8/180 mm möglich sind. Unter dem Strich ergibt sich ein geringer Punktevorsprung für die Rolleiflex, den sie vor allem ihren zahlreichen Belichtungsprogrammen zu verdanken hat. Die Kamera läßt sich damit leichter den fotografischen Gegebenheiten anpassen. Ein kurzer Dreh am Blendenring des Objektivs, und der Fotograf kann eine schnelle Verschlußzeit für Sport- oder Actionaufnahmen wählen. Zeitenrad und Blendenrad in Stellung "A" garantieren schnelle Schußbereitschaft, und die Zeitautomatik erleichtert die Bildgestaltung bei statischen Motiven. Praktische Aufnahmen zeigten in der Belichtungsgenauigkeit keine Unterschiede zwischen der Rolleiflex 6008 und der Hasselblad 205 TCC. Das einfachere, aber trotzdem der Praxis voll gewachsene Belichtungsmeßsystem der Rollei reichte vollkommen aus, um auch schwierige Lichtsituationen zu meistern. Allerdings stecken in der Differenz- und Zonenmeßfunktion der Hasselblad ungeahnte Möglichkeiten vor allem für Fotografen, die ihre Fotos selbst vergrößern.

Handhabung

In der Praxis ist die Differenz in der Handlichkeit größer, als es der Gewichtsunterschied ausdrückt. Fotografierbereit wiegt die Rolleiflex inklusive Planar PQ 2,8/80 mm und Magazin 2060 Gramm, die Hasselblad bringt es auf 1615 Gramm. Trotzdem würde der Fotograf die Hasselblad aufgrund ihrer kompakteren Außenmaße und ihrer unfreiwilligen ergonomischen Formgebung - es geht auch ohne Griffrillen und Handgriffe, wenn die Form der Funktion folgt selbst bei gleichem Gewicht wesentlich handlicher finden. Sie liegt eindeutig besser in der Hand- im viel zitierten Hasselblad-Griff, das heißt die Kamera auf der einen Handfläche ruhend, während die rechte Hand Transportkurbel und Auslöser bedient. Die Linke besorgt auch die Verstellung des Funktionswählers der vier Stellungen aufweist: "A" für Zeitautomatik, "Pr" für Programmfunktion (nicht etwa wie Programmautomatik; in der Programmfunktion werden beispielsweise die Filmempfindlichkeit bei Nicht-TCC-Magazinen oder andere Kameraeinstellungen manipuliert), "D" wie Differenzfunktion, "Z" wie Zonenmeßfunktion und "M" wie manueller Abgleich. Bis auf "M" sind alle Einstellungen mit der Zeitautomatik gekoppelt. Mit den beiden Pfeiltasten neben dem Funktionswähler können die gemessenen und eingestellten Belichtungsdaten korrigiert werden.
Zeit, Blende und die Korrekturangaben in Lichtwerten sind auf dem Flüssigkeitskristall-Display im Sucherschacht sichtbar. Bei der Rolleiflex signalisieren Leuchtdioden Zeit, Blende und die übrigen wichtigen Kamerafunktionen. Die Bedienung der Rolleiflex erfordert eine größere Konzentration auf zahlreiche Hebel und Knöpfe, deren Bedeutung sich jedoch dem Kamera-Neuling schnell erschließt.
Die Vielzahl ist auch das Resultat der mannigfachen Funktionen, mit denen die Rollei ausgestattet ist. Immerhin besitzt sie einen eingebauten Motor, der einerseits zwar stets schnelle Schußbereitschaft sichert, andererseits jedoch maßgeblich zum hohen Gewicht der Kamera beiträgt. Unter dem Strich schlägt er aber positiv zu Buche, denn er erleichtert das Filmeinfädeln erheblich. Außerdem spult der Motor den Film nach der Belichtung automatisch auf. Die Hasselblad geht aus dem Bewertungskapitel Handhabung als Sieger hervor. In erster Linie hat sie dies ihrer ausgeprägten Handlichkeit und ihrer leichten Bedienung zu verdanken. Bei der Rollei schlagen das motorbedingte hohe Gewicht und die Vielzahl der Hebel negativ zu Buche, daran ändert auch der günstig geformte Handgriff nichts. Ein wichtiges Plus für die Rollei ist die geniale Lösung des Magazinschiebers. Während der Fotograf ihn auch bei der neuen Hasselblad in die Hemdentasche stecken muß oder ihn im Fotokoffer vergißt, betätigt der Rollei-Benutzer beim Magazinwechsel einfach das sogenannte Laminar-Rollo.

Grundausstattung, Ausbaufähigkeit und Stromversorgung

In diesem Kapitel schlägt die Stunde der Rollei. Der eingebaute Motor und die vielseitige Belichtungsautomatik machen den im Vergleich zur Hasselblad fehlenden Selbstauslöser mehr als weit. Hier kann die Rolleiflex 6008 wertvolle Punkte sammeln, Punkte, die sie in der Handlichkeitswertung einbüßte. Die Belichtungsreihenautomatik der Rollei läßt sich zwar wegen der ausgeklügelten und vielseitigen Belichtungsmessung über manuelle Nachführmessung, Spotmessung, Multispotmessung und mittenbetonte Mehrzonenmessung entbehren, ist aber bei Aufnahmen, auf die es wirklich ankommt, ein zusätzliches Sicherheitselement. Die Spiegelvorauslösung gehört bei beiden Kameras zu den selbstverständlichen Ausstattungsmerkmalen, ebenso wie die Blitzbelichtungsmessung auf der Filmebene. Zwar signalisiert die LED-Anzeige der Rolleiflex 6008 auch die Blitzbereitschaft, und sie meldet dem Fotografen nach erfolgtem Blitz, ob die Blitzmenge ausgereicht hat, doch gibt sich die Hasselblad in diesem Kriterium differenzierter. Auf dem LCD-Feld im Lichtschacht erscheinen die korrekte Synchronisierungszeit und die gewählte Blende. Beim Blick in den Lichtschachtsucher beider Kameras fällt auf, daß die von Minolta entwickelte Acute-Matte-Einstellscheibe nicht brillanter ist als die Rollei-Mattscheibe. Beim Prüfpunkt Material- und Verarbeitungsqualität kommt die Hasselblad auf ihre Kosten. Das solide Ganzmetallgehäuse ist in puncto Präzision und Robustheit immer noch unübertroffen.
Das umfangreichste Kamerasystem im Mittelformat offeriert nach wie vor Hasselblad. Mit der 205 TCC gelang es den Göteborgern, einen neuen Baustein voll in das System zu integrieren. Kein Wunder, daß die Kamera damit auf die Maximalpunktzahl kommt. Das 6000-System von Rollei kann sich ebenfalls sehen lassen, glänzt aber nicht mit der lückenlosen Vollständigkeit des Rivalen. Die Akku-Abhängigkeit der Rolleiflex 6008 birgt indes auch Vorteile und stellt die konsequenteste und umweltfreundlichste Art der Energieversorgung für eine Kamera mit vielen Stromverbrauchern dar. Stetiges Aufladen, am besten abwechselnd mit zwei Akkus, beugt Stromausfällen wirksam vor und wird mit der langen Lebensdauer der Akkus belohnt. Bei der Hasselblad dagegen blieb energietechnisch alles beim alten, wie die 2000 FC von 1977 wird auch die 205 TCC von einer 6-Volt-Batterie gespeist. Das Kapitel Stromversorgung geht deshalb an die Rollei. Wer baut nun die bessere Superlativ-Mittelformatkamera, Rollei oder Hasselblad? Nach Punkten lautet der Sieger Rolleiflex 6008. Allerdings läßt sich die Rollei viel leichter in das vorhandene Testraster integrieren als die Hasselblad mit ihrer fast als sophistisch zu bezeichnenden Vielseitigkeit der Belichtungsmessung. Auch wesentliche Dinge wie Systemkompatibilität und ein nur subjektiv wahrzunehmendes Qualitätsgefühl können nicht in das Testergebnis einfließen, was der Hasselblad zum Nachteil gereicht. Die Hasselblad 205 TCC ragt heraus wie keine andere Mittelformatkamera. Ihre Bedienung muß sich der Fotograf trotz funktioneller Einfachheit durch intensive Auseinandersetzung mit der Kamera verdienen.

Gesamtwertung

NaN

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}