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Artikel

1997

Beratung

Welche Spiegelreflex-Leica wählen?

Relalivitätstheorie

Erst gab es nur ein Modell der neuen SLR-Generation von Leica, die Leica R4. Inzwischen sind es deren drei: R5, R6 und das Einsteigermodell R-E. Während früher die Qual der Wahl mangels Alternative nicht existierte, wird sie heute zum Gerangel zwischen Preis und Leistung.

Die Entscheidung für eine Spiegelreflex-Leica ist schwerer zu treffen als für das weltweit einmalige Meßsuchermodell M6, für das es weder im eigenen Haus noch woanders Konkurrenz gibt. Schließlich gibt es genügend Spiegelreflexkameras auch der höchsten Preisklasse auf dem Markt, und da hat nicht nur der Erfinder der Kleinbildkamera Beachtliches zu bieten, sondern auch die japanischen Wettbewerber trumpfen mit qualitativ hochwertigen Kameras auf, die nicht immer modernsten Chip-Features huldigen, sondern traditionelle Werte wie Robustheit, Zuverlässigkeit, qualitativ hochwertige Verarbeitung und die bewußte Beschränkung auf wirklich wesentliche Ausstattungsmerkmale hochhalten. Trotz großer japanischer Konkurrenz pflegt die Firma Leica mit ihren Spiegelreflexkameras die Nische exklusiver Produkte, die - technisch gesehen durch ihre Konzentration auf das Wesentliche gegen den Strom schwimmen, wobei auf alle bildwichtigen Eigenschaften größter Wert gelegt wird.
Alle drei Spiegelreflex-Leicas huldigen diesem Prinzip; es gibt zwar deutliche technische Unterschiede, sie verändern jedoch nicht den Leica-typischen Charakter. Gerade deshalb fällt die Wahl zwischen den drei Modellen R-E, R5 und R6 so schwer. Jede für sich überzeugt durch die Klarheit ihres Konzepts, ob bedienungsfreundlicher Multiautomat, extrem robustes Mechanikmodell oder knapp kalkulierte Einsteigerkamera in das Leica-R-System. Die konstruktive Grundlage für das heutige Leica-R-Trio lieferte die 1987 erschienene Leica R5. Basierend auf der Leica R4 bot die neue R5 viele entscheidende Verbesserungen im gleichen Gewand. Zu mehr Sicherheit und Bedienungskomfort trug die TTL-Blitzbelichtungsmessung auf der Filmebene bei. Das Sucherokular erhielt einen einstellbaren Dioptrienausgleich, bereits kurz vorher erhielten R4 und R4s Mod 2 griffigere Bedienungselemente, insbesondere die vorher umständliche Override-Korrektur wich einer praktischeren Lösung. Außerdem besitzt die R5 im Gegensatz zur R4 eine variable Programmautomatik, je nach Stellung des Verschlußzeitenrades entwickelt die Automatik eine Vorliebe für kürzere oder längere Verschlußzeiten. Die 1/2000 Sekunde als kürzeste Verschlußzeit ist eine weitere Errungenschaft des sanften Fortschritts von R4 auf R5.
Die R5 präsentiert sich als vielseitigste Kamera im Leica-R-System. Sie offeriert die meisten Belichtungsprogramme. Natürlich verfügt sie über die bei Leica-Spiegelreflexkameras schon traditionelle umschaltbare Belichtungsmeßmethode von mittenbetonter Integralmessung auf Selektivmessung. Allerdings funktioniert das Wahlprinzip nur im Zeitautomatik-Modus. Mittenbetonte Integralmessung lautet die konstante Vorgabe bei der Programm- und Blendenautomatik. Beim manuellen Belichtungsabgleich gibt es sinnvollerweise nur die Selektivmessung, denn für die Art der Belichtung entscheidet sich der Fotograf, wenn er alle technischen Freiheiten möchte. Darüber hinaus bietet die Leica R5 noch die Möglichkeit der Meßwertspeicherung in der Funktion Zeitautomatik mit Selektivmessung.
Das neue Einsteigermodell R-E ist am nächsten mit der R5 verwandt. Einfach ausgedrückt, handelt es sich bei der R-E um eine R5 ohne Blendenautomatik und Programmautomatik, der elektronisch gesteuerte Verschlußzeitenbereich von 1/2000 Sekunde bis hin zu vollen 15 Sekunden wurde ebenso beibehalten wie die wählbare Belichtungsmeßmethode. Der Verschluß wird elektronisch gesteuert, als mechanische Notzeit steht die Blitzsynchronzeit von 1/100 Sekunde zur Verfügung, die bei Batterieausfall die Funktionsfähigkeit der Kamera gewährleistet. Der Verzicht auf Programm- und Blendenautomatik bringt dem Leica-R-E-Fotografen die beachtliche Preisersparnis von 900 DM gegenüber der R5 Eine mehr als angemessene Entschädigung für den Verlust an Bedienungskomfort, der allenfalls bei Schnappschußsituationen und Aufnahmen von sich schnell bewegenden Objekten zu Buche schlägt. Indirekt läßt sich ja auch die Zeitautomatik so manipulieren, daß die Kameraelektronik eine kurze Verschlußzeit wählt, wenn sich der Fotograf für eine möglichst große Blende entscheidet.
Der Leica R-E fehlt gegenüber der erheblich teureren R5 also nichts wirklich Essentielles. Der R-E-Käufer erwirbt eine in jeder Hinsicht vollwertige Leica, die in Relation zum Preis der anderen Leica-R-Modelle, weil äußerst knapp als Einsteigerkamera kalkuliert, einen besonders hohen Gegenwert bietet.
Die R6 genießt dagegen den vornehmsten Status innerhalb der feinabgestimmten Hierarchie der drei Leica-Spiegelreflexkameras. Abgesehen von der TTL-Blitzlichtmessung frei von jeder Automatikfunktion, spricht sie den Puristen unter den Fotografen an. Sie ist und das wird nicht nur in der Namensgebung deutlich das Spiegelreflex-Pendant zur Meßsucherkamera M6. Die solide mechanische Konstruktion der Kamera ist auf härteste Beanspruchung und lange Lebensdauer ausgelegt, die Verschlußmechanik der R6 ist eine vollkommene Neuentwicklung und in der Fertigung erheblich teurer als ein elektronisches Bauteil. Das schlägt sich im Preis nieder - hier markiert die R6 mit 5000 DM die einsame Spitze unter allen serienmäßigen Kleinbild-Spiegelreflexkameras des Marktes. Ihr Preis steht im umgekehrten Verhältnis zur spartanischen Ausstattung, dennoch sind die wenigen Komponenten von hoher Qualität und voll auf die Bedürfnisse ambitionierter Fotografen zugeschnitten. Trotz weitgehender Absage an die Elektronik - lediglich Selbstauslöser und Belichtungsmeßsystem sind batterieabhängig muß der R6-Fotograf nicht auf ein ausgeklügeltes Meßsystem verzichten. Auch er hat die Wahl zwischen der mittenbetonten Integralmessung und der Selektivmessung, genauso problemlos umschaltbar am handlichen Programmwähler wie bei den Modellen R-E und R5.
Als zusätzliche Finesse offeriert die R6 die Spiegelvorauslösung. Sie läßt sich über ein Drahtauslösergewinde neben dem Objektiv aktivieren. Eine etwas umständliche Methode, für die man das Hilfsmittel Drahtauslöser braucht. Japanische Kameras, deren Spiegel sich ebenfalls feststellen läßt, ermöglichen dies einfach per Schalter. Man kommt bei der Betrachtung des Leica-Spiegelreflexprogramms nicht umhin, einiges zu relativieren. Da ist zunächst einmal der hohe Preis, der für die Kameras und Objektive mit dem berühmten Namen gefordert wird; er ist das Resultat aufwendiger Fertigung unter dem Einsatz hochwertiger Materialien und ein Tribut an die vergleichsweise geringe Stückzahl. Im Gegensatz zur weitgehend automatisierten Fertigungsstraßen-Produktion in Fernost wendet man in Portugal und Solms noch sehr viel Handarbeit auf. Relativiert werden muß auch die Preisgestaltung innerhalb der R-Kamerareihe.
Die R5 ist deutlich teurer als die R-E, ohne viel mehr zu bieten. Der Sinn einer zusätzlichen Programm- und Blendenautomatik muß angesichts der hohen Differenz ebenfalls relativiert werden. Wer auf hohen Bedienungskomfort und eine Komplettausstattung nicht verzichten will und sich vom preiswerten Einsteigermodell bewußt distanzieren möchte, für den ist die R5 nach wie vor die richtige Alternative. Vernunftmenschen ziehen jedoch entweder die R-E oder die R6 ins Kalkül. Die R6 ist ihren hohen Preis wert, weil sie beinahe eine ebenso einmalige Kamera ist wie die M6. R-E und R6 sind Kameras, die sich als schiere Werkzeuge für die anspruchsvolle Fotografie verstehen und dabei auf technische Ablenkungen weitgehend verzichten.

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