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Artikel
1997
Photographica Aktuell
Zwei Jahrzehnte Canon F-1
Ende einer Ära?
Canons Profi-Kleinbildspiegelreflex mit Namen F-1 sollte die Nikon-Vorherrschaft in der oberen Kameraklasse brechen. Weder die alte noch die neue F-1 kamen allerdings über einen respektablen Achtungserfolg hinaus. Geht die F-1-Geschichte nun zu Ende?
Der wichtigste Vorteil, den die Canon F-1 gegenüber ihrer Erzrivalin Nikon F und später auch Nikon F2 ins Feld führen konnte, lag in ihrem Belichtungsmeßsystem begründet. Obwohl die Kamera über einen auswechselbaren Sucher verfügt, ist der hochpräzise CdS-Fotowiderstand fest in das Gehäuse integriert. Er sitzt unmittelbar hinter der Einstellscheibe, nicht weit von der Filmebene entfernt. Dadurch gelang es den Canon-Konstrukteuren, die Belichtungsmessung mit allen Sucheraufsätzen zu kombinieren und Prismenaufsätze mit Meßfunktion zu vermeiden. Außerdem wartete die Kamera mit einer teilselektiven Innenmessung auf, die nur zwölf Prozent des Sucherfeldes berücksichtigt. Das zentrale Meßfeld signalisiert dies dem Fotografen. Diese Selektivmessung erlaubt es, nach Leica-Manier exakt den Motivteil auszumessen, der am wichtigsten für die Belichtung ist. Gerade bei kontrastreichen Motiven ist diese Meßmethode besonders geeignet, um Meßfehler zu vermeiden. Aber es bedarf auch der Gewöhnung und Erfahrung, um gleichmäßig ausgeleuchtete Objekte nicht versehentlich überzubelichten.
Bei der Canon F-1, die als Kamera für den professionellen Einsatz konzipiert wurde, legten die Konstrukteure großen Wert auf Zuverlässigkeit und Robustheit. Das Resultat ist eine außerordentlich präzise Verarbeitung und eine großzügige Dimensionierung aller verschleißanfälligen Bauteile. Der Titanverschluß besteht aus hauchdünnen Lamellen - er übertrifft in der Leistungsfähigkeit mit der 1/2000 Sekunde das Pendant in der Nikon F; erst die Nikon F2 von 1971 zieht in der maximal realisierbaren Verschlußgeschwindigkeit wieder gleich. Auch in der Ausbaufähigkeit übertraf die Canon F-1 die Nikon F, die damals als Maß aller Dinge galt. Unter den Wechselsuchern finden sich bei der Canon F- I zwei besonders interessante Exemplare. Der voluminöse Verstärkersucher T - im Canon-Jargon "Booster Finder T" genannt besitzt ein eigenes Belichtungsmeßsystem mit zwei hochempfindlichen CdS-Fotowiderständen, die nach dem Prinzip der mittenbetonten Integralmessung arbeiten. Das kameraintegrierte Meßsystem bleibt bei der Verwendung des Boosters über einen gewissen Bereich einsetzbar. Der Booster kombiniert einen größeren Meßbereich bei schwachem Aufnahmelicht mit automatischer Belichtung über eine eingebaute Zeitschaltuhr.
Eine automatische Belichtung im normalen Aufnahmebereich ermöglicht der Servosucher EE, der die Canon F-l in eine Kamera mit Blendenautomatik nach Zeitvorwahl verwandelt. Außerdem kann die F-1 mit einer Spiegelvorauslösung aufwarten, um die Kameraschwingungen bei sehr erschütterungsempfindlichen Aufnahmen, beispielsweise in der Mikroskopfotografie, zu dämpfen. Ein wichtiges Profi-Argument jener Tage war der motorische Filmtransport, den für die F-l wahlweise ein Winder und ein Motor besorgen. Interessanterweise gab es auch von der alten F-l, wie später auch von der F-1 New, eine besondere Schnellschußvariante, die bei der kürzesten Verschlußzeit von 1/1000 Sekunden - worin sie sich von der Serienkamera unterschied - neun Belichtungen zuließ. Trotz guter Anlagen und teilweise überlegener Ausstattungsmerkmale vermochte die Canon F-1 die Nikon-Sympathie der Profis nur wenig zu beeinflussen. Schon ein Jahr nach dem Debüt der F-l kam die Nikon F2 heraus und mischte die Karten für das Pokern um die Profis neu. Die F-l erwarb sich im Laufe der Jahre eine treue Anhängerschaft, Canon setzte in der Modellpolitik aber mehr und mehr auf stückzahlintensive Amateurkameras mit neuen elektronischen Finessen. Millionenerfolge wie die Canon AE-1 und die A-l drängten die F-1 in eine Ecke, in der sie langsam veraltete. Spätestens als Nikon 1980 mit der F3 eine elektronisch gesteuerte Profikamera mit Gehäusemeßsystem und Zeitautomatik anbot, gerieten die Canon-Manager unter Zugzwang. Insgeheim arbeiteten sie jedoch schon an einem Nachfolgemodell für die betagte F-l, die 1981 unter dem Kürzel F-1N (N wie new) debütierte. Auch die F-1N machte als Reaktion auf die F3 einiges besser als die Nikon-Konkurrenz, aber auch ein paar Sachen nicht so gut. So bleibt bis heute unverständlich, daß die Spiegelarretierung der Vorgängerin geopfert wurde. Nikon bot sie selbstverständlich für die F3. Die gehäuseinterne Messung behielt man bei Canon auch für das neue Modell bei, eine Zeitautomatik gibt es jedoch nur in Verbindung mit dem aufpreispflichtigen Automatiksucher FN. Überhaupt ist das Ausbausystem der Canon F-1N zwar lobenswert - die Nikon F3 bietet Vergleichbares nicht - aber recht kompliziert und teuer. Eine Blendenautomatik gesellt sich nur zu den Kamerafunktionen dazu, wenn ein Motor oder Winder angeschafft wird, und über bestimmte Einstellscheiben läßt sich die wahlweise integrale oder selektive Meßcharakteristik durch eine Spotmessung erweitern.
Um auch unter ungünstigen Bedingungen zu funktionieren, sollten Profikameras nicht völlig batterieabhängig sein. So besitzt die Nikon F3 für Notfälle eine mechanische Notzeit und einen separaten Notauslöser, weil die normale elektromagnetische Auslösung Strom braucht. Bei der Canon F- I hingegen entschied man sich für einen elektromechanischen Hybridverschluß. Ähnlich wie bei der 1980 vorgestellten Pentax LX steht bei Stromausfall nicht nur eine, sondern eine Reihe von Verschlußzeiten zur Verfügung. Die kurzen Zeiten von 1/2000 Sekunde bis 1/125 Sekunde werden mechanisch gesteuert, während die längeren Zeiten von 1/60 Sekunde bis zu vollen acht Sekunden elektronisch gebildet werden. Natürlich besitzt auch die neue F-1 einen Titanschlitzverschluß. In vielerlei Hinsicht stellt die neue F-1 eine gelungene Mischung fortschrittlicher und traditioneller Konstruktionselemente dar. So schufen die Canon-Konstrukteure einerseits ein komplexes und genaues Belichtungsystem mit Hilfe moderner Elektronikbauteile, andererseits blieben sie den Sucherinformationen der konventionellen Meßnadelanzeige treu.
Mit dem AE-Prismensucher FN erscheint die Verschlußzeitenreihe unter dem Sucherbild. Bei den Funktionen Nachführmessung (ohne Zubehör) und Blendenautomatik (mit Winder oder Motor) erscheint rechts neben dem Sucher die Blendenanzeige mit Meßkelle. Beim korrekten Belichtungsabgleich sind die Nadel und die Meßkelle zur Deckung zu bringen.
Nimmt der Fotograf die Canon F-1N in die Hand, so beeindruckt das solide Gewicht der Kamera. Alle Einstellelemente sind groß dimensioniert und griffig gestaltet. Die Verarbeitungsqualität läßt keine Wünsche offen, alles wirkt solide und gediegen. Sogar ein scheinbar belangloses Teil wie der Batteriefachdeckel für die 6-Volt-Zelle an der Kameravorderseite ist aus massivem Metall ausgeführt. Die F-1N präsentiert sich ganz und gar als Kamera vom alten Schlag, auch mit ihren Nachteilen. So geben sich Filmtransport und Verschlußaufzug, ebenso wie Spiegelschlag und Auslösung, eher ruppig. Aber bei der F-1 nimmt man dies gern in Kauf, es unterstreicht noch ihren herben Charme.
Die Stimmen wollen nicht verstummen, die orakeln, daß die Tage der Canon F-1N gezählt sind. Sollte es wirklich bald soweit sein - die T90 hat es ja schon "erwischt" -, so gibt es wieder eine Kamerapersönlichkeit weniger. Canon sollte, Canon muß die F-1N weiterbauen und sollte sie nicht verändern, durch Kunststoffgriffleisten verwässern oder gar im neuen Ergonomie-Look der EOS-Modelle variieren. Der größte Spiegelreflexkamera-Hersteller der Welt sollte sich ein Aushängeschild wie die F-l leisten.
Für Kamerasammler dürfte speziell die alte F-1 von Interesse sein, zeugt sie doch technisch und stilistisch von einer Epoche, als die Japaner zur führenden Kamera-Nation der Welt aufstiegen. Die alte F-1 resultiert noch aus der Zeit, als Canon-Kameras ein F in der Typenbezeichnung trugen, wie auch das eigenwillige Hybrid-Schwestermodell namens Canon EF beweist. Gute F-1-Kameras der Baujahre 1971 bis 1981 sind für rund 700 Mark inklusive Standardsucher und ohne Objektive zu bekommen.
Exotisches Zubehör wie der Booster-Sucher kostet oft soviel wie die Kamera selbst.
Neue F-1-Kameras gibt es noch im Laden zu kaufen; trotz geringerer Verbreitung notieren sie nicht ganz so hoch wie das Nikon-Pendant F3. Eine gute F-1 mit Standardsucher liegt um 1300 Mark. Die neue F-1 ist mehr eine Alltags- als eine Sammlerkamera, aber sicher eine gute Investition für die Zukunft. Dann zahlen sich die geringen Stückzahlen in barer Münze aus.
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