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Artikel
1997
COLOR FOTO SPEZIAL SPIEGELREFLEXKAMERAS
M42-Objektivanschluß
Ein Gewindemärchen
Mit Ausnahme eines Exoten (Zenit 12 XP) kann das Schraubgewinde M42x1 als Objektivanschluß als ausgestorben gelten. Auch die Marke Praktica, die wohl am deutlichsten mit dem Gewinde in Verbindung gebracht wurde, setzt mittlerweile aufs Bajonett. Ein Blick auf 41 Gewinde-Jahre und Spezialitäten aus Dresden.
Wer heute ein Objektiv an eine Kamera ansetzen will, braucht nur einen kurzen Dreh aus dem Handgelenk heraus zu machen, und im Bruchteil einer Sekunde sitzt das Objektiv unverrückbar an seinem Platz im Kamerabajonett. Lange Zeit ging das Ansetzen eines Objektivs im Handumdrehen vor sich - im mehrfachen Handumdrehen allerdings. Das Schraubgewinde M42x1 forderte seinen Tribut. Natürlich war das langwierige Objektivwechseln ein Nachteil des Gewindes, aber der war nie so gravierend, wie er oft dargestellt wurde. Allenfalls Reporter stehen unter dem Druck, blitzschnell die Brennweite wechseln zu müssen. Aber die Reporter arbeiteten in den frühen Jahren des Schraubgewindes M42x1 mit mehreren 6x6-Rolleis mit verschiedenen Brennweiten (die gar nicht gewechselt werden konnten), mit mehreren, verschieden bestückten Nikons (obwohl die damals schon Bajonett hatten), wenn sie nicht sogar noch mit alten Makinas und ähnlichen Reportagekameras loszogen oder auf Leica-Meßsucherkameras schworen -während die Amateure eigentlich genug Zeit hatten, Schraubgewinde-Objektive in aller Ruhe zu wechseln.
Tatsächlich lag der gravierende Nachteil des Schraubgewindes auf einer anderen Ebene. Hochlichtstarke Normal- und Weitwinkelobjektive waren wegen des geringen Durchmessers der Lichteintrittsöffnung ins Gehäuse nicht oder nur sehr schlecht zu realisieren. Außerdem verband das Schraubgewinde Objektive und Kameras nicht immer so exakt gleich, wie das die Kupplungselemente für Zeit-, Blenden- oder gar Programmautomaten fordern. Das führte im Endeffekt dazu, daß sich im Laufe der Zeit alle Hersteller vom Schraubgewinde ab- und dem Bajonett zuwandten. Viele Kameramarken begannen nun mit Bajonett-Anschlüssen ihre Karriere. So gab es M42-SLR-Kameras unter anderen auch von Mamiya, Miranda, Olympus, Pentax, Ricoh, Topcon oder Yashica. Und eine lange Reihe dieser Kameras kam mit den Namen Praktica aus dem Hause Pentacon.
Der Vorteil, der den Hobbyfotografen aus dieser Verbreitung erwuchs, war offensichtlich: Es gab eine unwahrscheinlich große Auswahl an Objektiven, und alle Schraubgewindeobjektive paßten an alle Schraubgewindekameras, die es von fast allen Herstellern gab. Angefangen hatte alles mit einem kleineren Gewinde M40x1, mit dem die Objektive an die Praktiflex angesetzt wurden. Die sowjetische Militäradministration gab den Kamerabauern in Niedersedlitz dann aber im Jahr 1947 den Auftrag, diese Praktiflex zu überarbeiten und dabei gleich einen größeren Objektivanschluß zu schaffen eben jenes Gewinde M42x1. Der Auftrag wurde erfüllt allerdings kam die erste M-42-SLR erst im Oktober 1948 in die Serienfertigung. Es handelte sich immer noch um eine Praktiflex.
Erst das nächste Modell trug den Namen, der bis heute nicht ausgestorben ist, und - wenn alles gut geht - auch nicht aussterben wird: Praktica.
Wie die Ur-Praktica sind auch die folgenden Modelle der FX-Serie (1951 bis 1957) mit einem Lichtschachtsucher ausgestattet. Schon in dieser Serie ist eine Kamera zu finden, die einen der vielen Meilensteine in der Entwicklung der Kameratechnik setzt. Die Praktica FX 2 von 1956 ist die erste Kamera der Welt, bei der die Mechanik zur Abblendung des Spring oder Druckblenden-Objektivs innerhalb der Kamera untergebracht wird, die Abblendung also vom Gehäuse aus erfolgt. Auch die Springblende ist in den fünfziger Jahren durchaus keine Selbstverständlichkeit. Immer noch sind die Objektive weit verbreitet, bei denen der Blendenring direkt auf die Irisblende im Objektiv wirkt. Das heißt: beim Einstellen der Blende am Blendenring schließt sich die die Blende auf den eingestellten Wert. Bei der Springblende dagegen bleibt die Blende offen und schließt sich erst auf den eingestellten Wert, wenn zur Belichtungsmessung bei Arbeitsblende oder zur Aufnahme über den entsprechenden Mechanismus auf die Blendenlamellen eingewirkt wird.
Die Serie mit den römischen Zahlen (die mit der Praktica IV im Jahre 1959 ihren Anfang nimmt) ist dann mit Dachkantprismensuchern ausgestattet, die den Einblick "in Augenhöhe" auf ein seitenrichtiges und aufrechtstehendes Sucherbild gestatten.
Den nächsten Meilenstein setzt eine Kamera namens Praktica mat - die erste Kamera Europas, in der die Belichtungsmessung durch das Objektiv Einzug nimmt. Die TTL-Messung ist zu jener Zeit - man schreibt das Jahr 1965, als die Kamera vorgestellt wird - so revolutionär, daß man zur Bezeichnung "mat" greift. Ist das Fotografieren ohne Handbelichtungsmesser, ohne umständliches Übertragen von Zeit- und Blendenwerten nicht schon fast "automatisch" geworden?
Nur drei Jahre später - die Praktica nova und nova 1B wurden mittlerweile präsentiert - schreibt sich wieder eine Praktica in das Buch der Fotogeschichte ein. Die Praktica PL electronic ist die erste Kamera der Welt mit einer Ausstattung, ohne die heute kaum eine Spiegelreflex der Welt auskommt: die Verschlußzeiten werden elektronisch gesteuert.
Und schon im nächsten Jahr (1969) werden zum ersten Mal in einer Kamera die Blendenwerte elektrisch vom Objektiv zur Kamera übertragen, tauchen zum ersten Mal in einem Objektivanschluß jene goldschimmernden Kontakte auf, die einem heute in großer Zahl aus jedem Bajonett einer AF-SLR entgegenblinken. Die Kamera heißt Praktica LLC.
Die nächsten Jahre gelten dem Aufbau einer neuen Generation von Prakticas, deren Buchstabenkombinationen auch dem Eingeweihten manchmal zungenbrecherisch erscheinen. Große Neuerungen kommen nun nicht mehr mit Prakticas auf den Markt (und sieht man von der würfelförmigen kleinen Rollei 2000F und ihren Nachfolgern ab, überhaupt nicht mehr mit deutschen Kameras), aber man pflegt die Kameraserien, entwickelt weiter, baut aus und bringt auch für die Besitzer schmaler Geldbeutel durchdachte Kameras auf den Markt, die sich in der Praxis bewähren, auch wenn sie nicht so High-Tech-mäßig aussehen wie andere Apparate. Welche Firma kann sich rühmen, eine Kleinbild-SLR mit Wechselsuchern zu einem erschwinglichen Preis auf den Markt gebracht zu haben? Richtig Praktica mit den Modellen VLC, VLC 2 und VLC 3.
Nun gibt es sie gar nicht mehr, die Prakticas mit dem Schraubgewinde. Auch die letzten Modelle, die MTL 50 und die MTL 5B, die sich nur in der Sucheranzeige unterschieden, sind nicht mehr im Katalog zu finden. Aber immerhin gibt es sie noch in vielen Fototaschen, und sie tun immer noch getreulich ihren Dienst.
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