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Artikel
1997
Beratung
Marktübersicht: Spiegelreflexkameras unter 500 DM
Reifeprüfung
Das Auslaufen der Praktica-Modelle hinterließ eine schmerzhafte Lücke im Angebot der preiswerten Spiegelreflex-Systemkameras. Doch anspruchsvolle Fotografie läßt sich weiterhin mit einem geringen Budget vereinbaren. Dafür sorgen neben den preiswerten japanischen Einsteiger-Modellen in große Systeme wie Canon T 60, Minolta X-300s oder Pentax K 1000 auch Exoten wie die Seagull DF-300 aus China und die Zenit 12 XP aus der Sowjetunion.
Ambitionierte Fotografen nehmen nur die Spiegelreflex-Systemkamera mit Wechselobjektiv ernst und distanzieren sich deutlich von den Autofokus-Kompaktsucherkameras oder von Kamera-Mischformen, die möglichst alle technischen Ausstattungsmerkmale in einem Gehäuse vereinen, jedoch das wichtige Wechselbajonett nicht bieten. Mit einer echten Spiegelreflexkamera zu fotografieren bedeutet, alle Register anspruchsvoller, kreativer Fotografie ziehen zu können. Keine Disziplin bleibt einem verwehrt, ob Makro-, Porträt-, Tier- oder Sportfotografie, es kommt nur auf das entsprechende Objektiv an. Wer die fotografische Reifeprüfung anstrebt, kommt also an einer Spiegelreflexkamera nicht vorbei. Der Anfänger tut aus fotodidaktischen Gründen gut daran, nicht zuviel Geld für seine erste Systemkamera auszugeben, denn die Billigen sind die Schwierigsten und zum Lernen, wie "Fotografie gemacht" wird, am besten geeignet. Gerade in der sogenannten Einsteigerklasse bis 500 DM finden sich noch einige Kameras ohne viel Elektronik und mit nur wenigen Belichtungsprogrammen, die den für das Begreifen der Fotografie so immens wichtigen Zusammenhang zwischen Zeit und Blende noch nicht zur abstrakten Größe reduzieren. Ja, es gibt sogar einige unter den Preiswerten, die jeder elektronischen Verschluß- oder Belichtungssteuerung abschwören und alles auf mechanischem Wege mit Hemmwerk und Zahnradgetriebe erledigen. Den für die Situation korrekten Belichtungsabgleich zu treffen, dauert zwar für ungeübte Fotografen etwas länger, doch verbirgt sich hinter dem Mehraufwand die Chance, Fotografieren elementar zu begreifen.
Die 500-DM-Klasse wurde jahrzehntelang von den Spiegelreflexkameras aus Dresden dominiert, doch konnte die Subventionskalkulation der DDR den neuen marktwirtschaftlichen Gegebenheiten nicht mehr standhalten. Deshalb mußte die Produktion aufgegeben werden. Allerdings wird dieser Verlust durch die neuen Aktivitäten der Japaner im unteren Preissegment der Spiegelreflexkameras wieder aufgefangen. Ricoh präsentierte zur photokina '90 die mit erstaunlichem Bedienungskomfort aufwartende KR-10M, Pentax überarbeitete die P30N und nennt sie jetzt P30T, Canon - seit den Tagen der AV-1 im Unterhaus nicht mehr vertreten - lancierte die T60 zur Abrundung des Programms nach unten und als Schlüssel zum umfangreichen FD-Objektivprogramm. Auch Minolta weiß, was die X-300 als preiswertes Massenmodell für die Marke bedeute, und unterzog die in Deutschland meistverkaufte Spiegelreflexkamera der 500DM-Klasse im letzten Jahr Modellpflegemaßnahmen, aus denen die Kamera als X-300s hervorging. Wer aus stilistischen Gründen die alte Version namens X-300 vorzieht, und sei es nur wegen des nostalgischen Chrom-Outfits, der kann auf die Seagull DF 300 zurückgreifen und bekommt für nur etwas mehr als 300 DM eine voll systemkompatible Kamera.
Eine Spiegelreflexkamera ist in der Produktion ungleich aufwendiger und lohnintensiver als ein Autofokus-Kompaktsuchermodell. Trotz des hohen Grades elektronischer Bedienungshilfen bei den modernen Kompakten kommt beispielsweise eine Minolta X-300s auf etwa 800 Einzelteile, das ist doppelt soviel wie bei der Kompaktkamera AF-Tele-Super aus dem gleichen Hause - und das bei gleichem Preis. Außerdem erfordern die Glasteile wie Prisma und Spiegel eine besonders präzise Bearbeitung, ganz zu Schweigen vom Gehäusekern, der aus Aluminium-Druckguß besteht und der das Resultat einer Fülle von Bearbeitungsvorgängen wie Drehen, Fräsen, Schleifen und Bohren ist. Kein Wunder, daß die Japaner angesichts der im eigenen Land inzwischen beachtlich hohen Lohnkosten häufig gezwungen sind, ihre lohnintensiven Einsteigerkameras - eine X-300s ist unter japanischen Bedingungen teurer in der Produktion als eine Dynax 3000i - in die Billiglohnländer Asiens auszulagern. Die Pentax K 1000 entsteht deshalb in Hongkong statt in Tokio, das rein mechanisch aufgebaute Modell müßte sonst fast 1000 DM kosten. Das gleiche gilt für die Yashica FX-3 Super 2000, die ebenfalls vollmechanisch ist und aus Hongkong stammt. Minolta läßt die X-300s im Zweigwerk Malaysia fertigen. Die Verarbeitungsqualität der beiden Kameras ist übrigens bemerkenswert gut, sie unterscheiden sich in diesem Kriterium nicht von ihren in Nippon gefertigten Vorgängern. In Japan lassen sich nur durch enorm hohe Stückzahlen die hohen Produktionskosten rechtfertigen. Hohe Stückzahlen kommen zum Beispiel dann zustande, wenn für alle produziert. In der 500-DM-Klasse ist das Cosina. Cosina fertigt die Exakta-Kameras HS-10 und HS-40, die weitgehend baugleichen Vivitar-Modelle V 2000 und V 6000 und sogar die Canon T 60, die wiederum bis auf Details baugleich ist mit der Exakta HS-40 und der Vivitar V 6000. Die Canon T 60 verfügt allerdings nicht über das K-Bajonett, sondern paßt sich mit dem FD-Anschluß der Canon-Kamerafamilie an. Von den Verkaufszahlen her gesehen spielen die beiden Exoten Seagull DF-300 und Zenit 12 XP keine große Rolle, wobei die DF-300 in der Käufergunst wegen ihrer Minolta-Herkunft um Klassen höher rangiert als die russische Zenit, die als einzige Kamera des Weltmarktes noch über ein M-42-Gewinde verfügt und mehr durch Robustheit als durch hochwertige Technik überzeugt.
Wer wenig Geld hat und dafür möglichst viel Kamera erwartet, hat bis zum Preislimit von 500 DM die Wahl unter immerhin vierzehn Modellen von 198 DM (Zenit) bis 498 DM (Ricoh KR 10M, Pentax P 30 T, Yashica 108 MP). Da sich der Preisunterschied von minimal zu maximal auf mehr als das Doppelte beläuft, verwundert es nicht weiter, daß es erhebliche Differenzen im Ausstattungsumfang der einzelnen Modelle gibt.
Wer es gern möglichst billig, mechanisch und robust hätte, dem sei die Zenit 12 XP wärmstens ans Herz gelegt. Mit dieser Kamera entzieht man sich bewußt aus der allgegenwärtigen Prestige-Skala der Konsumgüter.
Die Mechanischen
Die Kamera ist ganz anders und somit aus der Wertung. Sie ist ein liebenswertes Fossil, ausgestattet mit M-42-Gewinde und einem einfachen Schlitzverschluß, dessen Zeitenbereich nur von der 1/30 bis zur 1/500 Sekunde reicht. Hohe Ansprüche darf man an die Verarbeitung, die dem Motto "nur so gut wie möglich" gehorcht, nicht stellen, aber die Kamera verbreitet das gerade heute, im High-Tech-Zeitalter, so selten gewordene Flair des puren Werkzeugs, man liebt sie nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen der Bilder, die man mit ihr macht, Technik-Freaks gehen bei ihr leer aus. Ganz anders verhält es sich da schon bei dem Million-Seller Pentax K 1000. Von dem Asahi-Brot-und-Butter-Modell liefen in vierzehn Jahren über drei Millionen Stück vom Band. Sie reduziert das Fotografieren und die Kameratechnik zugleich auf das Wesentliche, ohne durch Skurrilität oder liebenswerte Schwächen aufzufallen. Sie ist vielmehr die Fortsetzung der Spotmatic mit Bajonett und übernahm von ihr die quintessentielle Perfektion, die ihr weder die Jahre noch das "Made in Hongkong" oder die geschickt getarnte Kunststoffprismenkappe nehmen konnten. Das einzige, was man an der K 1000 vermissen könnte, ist die Schärfentiefentaste. Jede Art von Elektronik würde zu einem völligen Identitätsverlust der Kamera führen, die durch Größe und Gewicht die Ära der siebziger Jahre verkörpert. Bedeutend weniger Ausstrahlung besitzen da schon die Einheitsmodelle Exakta HS-10 und Vivitar V 2000; im Grunde sind auch sie zwar reine Mechaniker, können aber durch die auffällige Verwendung von Kunststoffteilen, durch das helle Sucherbild, LED-Anzeigen und ihre kompakte Größe ihre spätere Entstehung nicht verleugnen. Die Yashica FX-3 Super 2000 ist von Typ her sehr ähnlich wie die beiden Exaktas, man kann sie gezielt durch Carl Zeiss-Objektive veredeln, mit der sie den Ruch der Billigklasse endgültig verliert.
Die Zeitautomaten
Die Zeitautomatik verkörpert gerade für Einsteiger in die Spiegelreflexfotografie einen idealen Kompromiß. Einerseits ermöglicht sie durch mehr Bedienungskomfort Schnappschüsse, andererseits entmündigt sie den Lernwilligen nicht durch die vollautomatische Kombination von Zeit und Blende. Immerhin gilt es hierbei noch, die Blende manuell vorzuwählen und damit zumindest indirekten Einfluß auf Schärfentiefe und Verschlußzeit auszuüben. Narrensicher ist die Zeitautomatik deshalb nicht, und gerade das hat didaktische Vorzüge. Die Canon T60 gehört, nebst ihren Artverwandten Vivitar V 6000 und Exakta HS-40, ebenso zu den reinen Zeitautomaten wie die Ricoh-Modelle KR-10X und KR-10M, die Minolta X-300s und ihr chinesisches Double Seagull DF300. Gerade die Minolta X-300s ragt aus der Kategorie der Zeitautomaten innerhalb der Einsteigerklasse durch ihre ausgewogenen Eigenschaften hervor. Wie keine andere Kamera für so wenig Geld kann sie mit einem professionellen Motor Drive mit der Bildfrequenz von immerhin fünf Aufnahmen pro Sekunde ausgerüstet werden. Die helle Mikrowaben-Einstellscheibe setzt auch noch über zehn Jahre nach ihrer Einführung Maßstäbe, der Sucher informiert über Verschlußzeit und Blende, der Meßwertspeicher vermag die Spotmessung zu ersetzen. Die Summe ihrer Eigenschaften macht die Minolta X-300s in der Kategorie der reinen Zeitautomaten zur ersten Wahl. Nicht zuletzt erschließt sie dem Fotografen ein riesiges Zubehör- und Objektivprogramm und erlaubt den Zugriff auf Fremd- und Gebrauchtobjektive des SR-Bajonetts.
Da vermag nur noch die Canon T60 mitzuhalten, die aber von ihrem Konzept her nicht so überzeugend wirkt und leider den speziellen Appeal originärer Canon-Konstruktionen (AV-1, AE-1 Program) vermissen läßt. Die Ricoh KR-10M wartet als Newcomer in dieser Klasse mit einer sensationellen Ausstattung auf, die einen integrierten Winder ebenso beinhaltet wie eine Belichtungsreihenautomatik. Sie ist nur dann eine ernstzunehmende Alternative zur Minolta, wenn Bedienungskomfort Vorrang vor Funktionalität haben soll.
Die Dualautomaten
Daß der technische Fortschritt und damit die sprunghafte Entwicklung in der Mikroelektronik auch vor der Spiegelreflex-Einsteigerklasse nicht halt macht, beweisen Pentax P 30T und Yashica 108 MP. Beide offerieren neben der in dieser Klasse schon lange üblichen Zeitautomatik auch noch eine Programmautomatik, womit eigentlich des Guten schon zuviel getan ist, denn jetzt kann sich der Spiegelreflex-Debütant vor der Erkenntnis des Fotografierens drücken und nur noch auf die Programmautomatik setzen. Zur Ehrenrettung sei allerdings bemerkt, daß beide Kameras keine Knopfdruckautomaten sind, sondern auch manuelles Abgleichen der Belichtung ermöglichen. Obwohl die Pentax P30T keinen eingebauten Motor hat, wirkt die Kamera doch harmonischer als die Yashica. Mit der Pentax P30T bekommt man eine sehr gut ausgestattete Kamera in die Hand, die sogar mit einer Schärfentiefentaste aufwartet. Der Meßwertspeicher hilft, auch Gegenlichtsituationen zu meistern, der Sucher ist hell und informativ und läßt nur die Anzeige der Blende vermissen. Mit dem Pentax SMC-A rutscht die P 30T soeben unter das 500-DM-Limit, das die Yashica knapp überschreitet. Zu den Preisen sei übrigens bemerkt, daß diese entscheidend von der Objektivbestückung abhängen. Ob man nun ein Standardobjektiv oder ein Kompaktzoom 35-70 mm oder 28-70 mm zur Kamera bestellt, macht etwa 100 bis 150 DM Preisunterschied aus. Wir orientierten uns an der 500 DM Grenze, ob nun ein Zoom dabei war oder nicht, spielte bei der Betrachtung eine untergeordnete Rolle. Bei aller Zoom-Euphorie darf nicht vergessen werden, daß ein Standardobjektiv gerade Anfänger besser zum Blick für das Motiv erzieht. Im Unterhaus der SLR-Kameras ragen drei Modelle deutlich hervor, sie zu empfehlen, fällt angesichts ihrer Qualitäten besonders leicht. Die Pentax K 1000 als qualitativ hochwertiges mechanisches Werkzeug zum Bildermachen mit dem Flair eines Klassikers, die Minolta X-300s als hinreichend moderne Systemkamera für alle Fälle und die Pentax P30T für kornfortbewußte Einsteiger, die ihrer ersten Kamera auch dann noch treu bleiben wollen, wenn die Ansprüche wachsen. Stellt man die 500-DM- der 5000-DM-Klasse gegenüber, fällt auf, daß Mechanik sehr viel oder sehr wenig kostet.
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