← Zurück

Artikel

1997

Kaufberatung:

Vergleich alt gegen neu

Gebrauchte Träume

Eine gebrauchte Kamera muß nicht unbedingt zweiter Klasse sein. Im Gegenteil, gebraucht kann man zum gleichen Preis mindestens eine Kameraklasse höher einsteigen, und das Restrisiko hält sich, zumindest bei neuwertigen Gebrauchten, durchaus in akzeptablen Grenzen. Vier interessante Gegenüberstellungen sollen klären, ob die gebrauchte Traumkamera ein besserer Kauf ist als die neue Vernunftkamera.

Peter Z. ist begeisterter Canon-Anhänger, und so nimmt es nicht Wunder, daß er seit Jahren vom Canon-Flaggschiff F-1 New träumt. Der Wechselsucher der Profikamera kommt dabei seinen makro-Ambitionen sehr entgegen. Das Budget unseres Canon-Freundes reicht allerdings nicht ganz in solch hohe Sphären. Eine T90 wäre allenfalls noch erschwinglich; sie ist zwar nicht die Traumkamera von Peter Z., erfreut sich aber dank ihrer vielseitigen TTL-Blitzmöglichkeiten gewisser Sympathien bei dem Canon-Anhänger. Rund 1300 DM würde ein T90-Gehäuse neu kosten, Peters Traumkamera, die Canon F-1, kostet allerdings mit rund 2000 DM inklusive AE-Sucher neu erheblich mehr. Dieser Preis übersteigt die Schmerzgrenze unseres Canon-Fotografen deutlich. Dennoch wäre die Traumkamera auch für Peter Z. finanzierbar: als neuwertige Gelegenheit für maximal 1500 DM. Der Vergleich zwischen alt und neu hat neben der als Einstieg gedachten Gegenüberstellung von Canon T90 eine Reihe reizvoller Varianten. Als Beispiel für eine populäre neue Kamera der 1200-DM-Klasse mit moderner Technik wie Autofokus und integriertem Motor, Mehrfeldmessung und Multiautomatik möge hier die Nikon F-801 dienen. In dieser ungewöhnlichen Gegenüberstellung von alt und neu dient sie als Referenzkamera für den Neukauf.
Die gebrauchte Profi-Alternative zur Nikon F-801 lautet wie könnte es anders sein - Nikon F3. Eine gebrauchte F3 in sehr gutem Zustand kostet exakt soviel wie eine F-801 neu. Neben dem eher irrationalen Prestigegewinn wartet die Entscheidung für das hochklassige Gebrauchtmodell statt für das Volumenmodell der Mittelklasse mit einer Reihe von Vorzügen auf. Die F3 ist bedeutend wertbeständiger und gebraucht gefragter als die F-801, deren verbessertes Nachfolgemodell F-801s bereits in den Startlöchern steht. Rein kommerziell gesehen ist also der Betrag von 1300 DM in der F3 besser angelegt als in der F-801.
Die F3 ist robuster und zuverlässiger als die F-801. Das Nikon-Profi-Modell profitiert in Sachen Zuverlässigkeit und Ausgereiftheit von der nunmehr über zehnjährigen Bauzeit. Alle Bauteile sind hohen Belastungen, wie sie im Berufsalltag der Fotograten angepaßt und entsprechend dimensioniert; das bedeutet zusätzliche Sicherheit auch im harten täglichen Einsatz. Die F3 ist nicht so kälteemptindlich und bei weitem nicht so batterieabhängig wie die F-801. Selbst bei Ausfall der beiden 1,5-Volt-Silberoxid-Batterien, welche die wenigen Funktionen der F3 speisen, bleibt die Kamera über einen Notauslöser und die mechanische Notzeit funktionstüchtig. Wenn bei der F-801 die - allerdings überall erhältlichen - vier Mignonbatterien leer sind, dann kann nur deren Ersatz das weitere Funktionieren gewährleisten.
Die Nikon F3 ist wesentlich ausbaufähiger als die Nikon F801 dank des Wechselsuchers und des riesigen Angebots von sage und schreibe dreizehn Einstellscheiben. Mit dem Motor MD-4 ausgestattet. der die Rekordfrequenz von maximal sechs Bildern pro Sekunde liefert, übertrifft die F3 die F-801 (3,3 Bilder pro Sekunde) in der Aufnahmeschnelligkeit um nahezu das Doppelte. Aber gerade in der Disziplin Schnelligkeit kann die Nikon F-801 1 ihre größten Trümpfe ausspielen. Der Hochgeschwindigkeitsverschluß ist immerhin für die 1/8000 Sekunde gut und realisiert eine 1/250 Sekunde als kürzeste Blitzsynchronzeit - da kann die F3 mit ihrem antiquierten Titanlamellenverschluß nicht mithalten. Im Jahre 1980 war die 1/2000 Sekunde zwar noch aufsehenerregendes Merkmal der Profiklasse, zehn Jahre später kann da schon die 350 DM teure Exakta HS-10 locker mitziehen.

Profialternative

Keine Frage, daß die F-801 dank Autofokus und eingebautem Motor mit automatischem Filmeinzug und motorischer Rückspulung sehr viel mehr Bedienungskomfort offeriert als die konventionell spartanische Nikon F3. Das Ausstattungspendel schwenkt also stark zugunsten der F-801 aus. Das stark ausgeprägte Leistungsplus der F-801 relativiert sich allerdings angesichts der zum Fotografieren wirklich notwendigen Einrichtungen einer Kamera. Eine Nikon F3, ergänzt durch nur durchschnittliches fotografisches Know-how des Besitzers, vermag die raffinierte Belichtungsmeßmethode und den reaktionsschnellen Autofokus wieder auszugleichen.
Mittelformatkameras sind, bis auf die preiswerten Einsteigermodelle aus China und der ehemaligen DDR, der gehobenen Preisklasse vorbehalten. Eine Exakta 66 markiert mit rund 2000 DM die untere Grenze der neuen Modelle.

Mittelformat-Alternative

Gebraucht gibt es für 1300 DM nurmehr antiquierte Liebhaberstücke vom Schlage einer Rolleiflex 2,8 F oder ein anderes, weit fortschrittlicheres Modell der gleichen Marke, dessen vergleichsweise geringe Beliebtheit stark auf den Wiederverkaufswert drückt. Gemeint ist die Rolleiflex SLX, die einst als Sensation im Mittelformat angekündigt wurde und diesen Vorschußlorbeeren von der Konzeption her durchaus standhielt. Immerhin wartet sie mit einer integrierten TTL-Belichtungsmessung mit Fremdlichtkompensation bei geöffnetem Sucherschacht auf. Eine Blendenautomatik sorgt für einen, gemessen an der Kameraklasse,
ungewöhnlichen Bedienungskomfort, der integrierte Motor erübrigt teures Zubehör und sichert die notwendigen hohen Aufnahmefrequenzen in der semiprofessionellen Porträt- und Modellfotografie. Die Stromversorgung erfolgt mittels eines aufladbaren Akkus, das ständige Investieren in teuren Batteriestrom entfällt daher.
Diesen großen Vorzügen steht leider ein gravierender Nachteil der ersten Baureihen bis etwa 1980 gegenüber: Zahlreiche Ausfälle gingen auf das Konto der in dieser Kamera im Überfluß vorhandenen Elektronik und der komplizierten Steuerung des Zentralverschlusses über Linearmotoren. Auch erwiesen sich die Kunststoffzahnräder für den Filmtransport als dem hohen Drehmoment des starken Motors nicht gewachsen. Außerdem bedürfen die Akkus der ständigen Pflege, bei längerer Fotografierpause quittieren sie vorzeitig den Dienst. Selbst kontinuierliche Modellpflege und die ungewöhnlich großzügige Kulanz des Rollei-Service konnten das angeschlagene Image der SLX nicht mehr retten. Deshalb gilt sie gebraucht als schwer verkäuflich. Das führt dazu, daß selbst die letzten Jahrgänge, 1983 und 1984, bei einem stattlichen Neupreis von 2998 DM nun, selbst in tadellosem Zustand, auf das Preisniveau einer neuen Nikon F-801 absinken. Zur Freude der SLX-Käufer aus erster Hand, denn sie haben eine inzwischen zuverlässige Kamera für das im Vergleich zu Kleinbild erheblich farbbrillantere und vergrößerungsfähigere 6x6-Format erworben, die in der Belichtungsgenauigkeit immer noch Maßstäbe setzt. Ihre gravierenden Nachteile gegenüber einer Nikon F-801 liegen im leicht verschmerzbaren Fehlen von Autofokus und im schwerfälligen Handling der massigen Kamera. Außerdem hat die SLX ihre Preis-Baisse schon hinter sich, tiefer kann sie nicht mehr fallen.
Rollei ist nach wie vor ein prestigeträchtiger Name, der mehr denn je Liebhaber auf den Plan ruft, die irgendwann auch der SLX ihre Gunst schenken. Langfristige Preissteigerungen sind also zu erwarten. Gebrauchtkäufer, die in dieser Preisklasse die Mittelformatkamera in Gestalt der SLX vorziehen, sollten entweder auf das Kaufdatum achten oder genügend Reparaturbelege vom Service vorgezeigt bekommen, sonst wird der Gebrauchtkauf zum Risikofall.

Prestige-Alternative

Der Name Leica hat unter Kamerabegeisterten immer noch einen besonderen Klang, verkörpert er doch jahrzehntealte Kleinbild-Tradition, verbunden mit großen Persönlichkeiten der Fotografie. Außerdem sichert einem die, an japanischen Stückzahlen gemessen, geringe Verbreitung der Kamera mit dem roten Leitz- respektive Leica-Punkt die heutzutage oft erwünschte Individualität. Keine Frage: Wer auf Prestige aus ist und den für eine neue Nikon F-801 fälligen Betrag investieren möchte, fährt mit einem Produkt aus dem Hause Leica nicht schlecht. Das hohe Preisniveau der Kameras aus Wetzlar und dem näheren Umland verhindert allerdings eine große Auswahl zu diesem Einstiegspreis. Allenfalls eine neuwertige R3 oder eine säuberlich erhaltene R4s um 1500 DM vermag den Prestigehunger eines Leica-Interessenten zu stillen, der zuvor den Neukauf einer Nikon F-801 in Erwägung zog. Offiziell wurde die Leica R3 bereits 1980 von der R4 abgelöst, doch verkaufte sich die große und schwere Kamera, die überdies auch noch 2000 DM teuer war und das zurückhaltend elegante Leica-Design vermissen ließ, recht zäh. Noch zwei Jahre nach der Wachablösung durch die elegant-zeitlose Leica R4, die heute noch in der R5 und R6 weiterlebt, gab es vereinzelt R3-Ladenhüter zu kaufen. Eine gebrauchte R3 ist jedoch nicht nur aus reinen Prestigegründen eine Alternative zur fabrikneuen F-801. Die Kamera wirkt bei näherer Betrachtung und vor allem beim Umgang mit ihr äußerst funktionell und verströmt dabei auch noch einen Hauch von Luxus.
Sicher muß man im Vergleich zu einer modernen Kamera wie der Nikon F-801 Abstriche in den Disziplinen des Bedienungskomforts hinnehmen. Schließlich hat das Koprodukt aus der Zusammenarbeit zwischen Leitz und Minolta weder eine automatische Scharfeinstellung noch einen integrierten Transportmotor zu bieten, doch erweist sich das Belichtungsmeßsystem der Kamera trotz der sinnvollen Beschränkung auf nur drei Modi, nämlich Selektivmessung plus Meßwertspeicher und Integralmessung, als erstaunlich präzise und nahezu allen Lichtsituationen gewachsen. Obwohl die Nikon F801 für eine moderne Kamera diese werden heutzutage vornehmlich mit einem Kunststoffgehäuse um das Aluminium-DruckgußchassisDruckgußchassis versehen - ein sehr gutes Material- und Qualitätsgefühl vermittelt, wirkt die Leica dagegen ungleich gediegener. Sie schwelgt geradezu in Messing und Stahl, der kugelgelagerte Schnellschalthebel, die weiche, hervorragend gedämpfte Verschluß- und Spiegelauslösung, die tresorhart exakten Rastungen der Bedienungselemente lassen das Gefühl aufkommen, diese Kamera sei für die Ewigkeit gebaut. Dabei ist sie bei aller Robustheit noch nicht einmal spartanisch ausgestattet, der Sucher informiert über Verschlußzeit und Blende, das Sucherbild besticht durch eine Brillanz, die damals Aufsehen erregte und heute durch die F-801 zwar leicht, aber nicht wesentlich übertroffen wird. Die Zeitautomatik meistert die gängigen Fotografiersituationen, für Sportaufnahmen, Schnappschüsse und bewegte Motive läßt sich manuell eine Verschlußzeit vorwählen. Die F-801 ist zeitgemäß; die Leica verbindet die Tradition eines großen Namens mit der Gediegenheit einer wirklichen Langzeitkamera.
Die letzte Gegenüberstellung des an Variationen unerschöpflichen Themas alt gegen neu ist die mit Abstand ungewöhnlichste, beweist sie doch, daß der scharf kalkulierende Interessent aus dem Überangebot von abgelegten Kameras der Prä-Autofokus-Generation buchstäblich Kapital schlagen und zum Preis einer neuen Nikon F801 mit Standardobjektiv eine komplette, gepflegte Kameraausrüstung bekommen kann, die gestern noch auf der Höhe der Zeit war. Die Idee dieser Gegenüberstellung geht auf eine erst vor kurzem aufgegebene Anzeige in der COLOR FOTO-Börse zurück, in der zum üblichen Marktpreis eine komplette, neuwertige Minolta-XD-7-Ausrüstung angeboten wurde. Sie bestand im einzelnen aus dem Gehäuse, dem Rokkor 1,7/50 mm, einem MD-Zoom 35-70 mm, das nach oben hin sinnvollerweise durch das Vario MD 75-200 mm ergänzt wurde. Der Blitz P 200 und der Winder D rundeten das attraktive Angebot ab, in dessen Mittelpunkt die Kamera steht, die einst einen Meilenstein in der Entwicklungsgeschichte der Spiegelreflextechnik markierte. Der erste Multiautomat mit Zeit-, Blenden- und Programmautomatik wurde sogar zum Vorbild für die Leica R4. Der seidenweiche Touch-Switch-Auslöser und die helle Mikrowaben-Einstellscheibe blieben über Jahre hinweg Minolta-Standards, die heute noch in der X-700 weiter existieren.

Ausrüstungsalternative

Verglichen mit der modernen Nikon F-801 kann die winderbestückte XD-7 noch gut mithalten. Eine Selektivmessung fehlt ihr, sie wird man vielleicht ebenso vermissen wie den Autofokus; ansonsten bereitet die komplette Ausrüstung jedoch einen großen Fotografierspaß für wenig Geld, und gerade der Einsteiger sähe seine Wünsche hiermit voll erfüllt. Eine entsprechend ausstaffierte Nikon F-801 würde mehr als das Doppelte kosten. Der Preis für den Sonderpreis ist eher ein akademischer. Man muß sich eben mit einer Kamera von gestern begnügen, der Vorsprung der neuen aber beträgt nur ein paar Stunden. Es ist so, als führe man ein qualitativ hochwertiges Auto der vorigen Modellreihe, dessen funktionelle Qualitäten durchaus noch heute mithalten können - nur im Bewußtsein der Käufer ist es passe.
Diese Gegenüberstellung von vier älteren Modelle, von denen eins noch in Produktion ist, beweist, welch interessante Alternativen der Gebrauchtmarkt bietet. Ein wenig Sinn für das Ausgefallene und die Mentalität, bewußt gegen den Strom zu schwimmen, gehören allerdings dazu, um sich für ein Modell von gestern zu entscheiden. Bei Beachtung der eingangs erwähnten Umstände läßt sich das Risiko des Gebrauchtkaufs bei vom Zustand her neuwertigen Kameras aber zumindest in Grenzen halten.

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}