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Artikel

1997

Kaufberatung

Entwicklungshilfe

Billige Spiegelreflexkameras

Ganz unten auf der Preisskala ist sogar noch Platz für Spiegelreflexkameras. Zum Preis einer einfachen Kompakt-Sucherkamera mit Autofokus gibt es schon richtige Systemkameras. Sind sie zu billig, um wirklich gut zu sein?

Japan hat seinen einstigen Status als Billiglohnland längst verloren. Heute ist "Made in Japan", einst Bezeichnung für billige Ware, hingst zum Synonym für erstklassige handwerkliche Verarbeitung und zum Symbol anspruchsvoller High Tech geworden. Auch das Lohnniveau in der industriellen Fertigung liegt auf westeuropäischem Niveau, ein Preisvorteil entsteht noch durch die wesentlich höhere Produktivität der japanischen Industrie. Eine Spiegelreflexkamera traditioneller Bauart mit mechanisch gesteuertem Verschluß besteht aus etwa 500 Bauteilen. Hier dominiert noch bearbeitungsintensives Metall, die Kunststoffteile sind noch in der Minderheit. Eine solche Kamera läßt sich in Japan selbst auf längst abgeschriebenen Produktionseinrichtungen und unter dem Aspekt hoher Automatisierung und Produktivität nicht mehr fertigen. Auch hier blieb nichts anderes übrig, als die Produktion solcher Basismodelle in Billiglohnländer zu verlagern. Die Pentax K 1000 trägt nicht mehr den stolzen Schriftzug "Made in Japan", sondern überhaupt kein Indiz mehr ihre Herkunft, wobei Eingeweihte wissen, daß sie samt Objektiv 2/50 mm aus Taiwan kommt. Die Minolta X-300s wird nicht mehr im heimischen Osaka gefertigt, sondern im Entwicklungsland Malaysia. Die Yashica FX-3 Super 2000 - das kompakteste und stilistisch modernste Gerät innerhalb dieses Sextetts - stammt aus Hongkong. Pentax K 1000 und Minolta X-300s haben Doppelgänger aus China. Die Maginon K 1000, für diesen Vergleich seltsamerweise ohne jede Markenbezeichnung auf dem Dachkantprisma quasi inkognito, gibt ihre verschleierte Herkunft spätestens nach dem Aufschlagen der zwar farbig gedruckten, aber durch bescheidenes und holpriges Deutsch aus dem Rahmen fallenden Bedienungsanleitung preis. Schon länger bekannt ist dagegen die Seagull DF-300, auch ein Produkt aus der Volksrepublik, daß noch auf dem Vorgängermodell der Minolta X-300 basiert und der verflossenen X-300 bis auf den Schriftzug und das Objektiv zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Zenit 12 XP fällt schon optisch durch ihr uriges, massiv und gedrungen wirkendes Äußeres aus dem von der Billig-Konkurrenz gesteckten Rahmen. Die Kamera kommt aus der Sowjetunion und stellt für 198 Mark inklusive dem Helios-Standardobjektiv, das immerhin genauso lichtstark ist wie das Leica-Summicron, einen doch ganz beachtlichen Gegenwert dar.
Soviel zur Vorstellung der sechs Kandidaten, die allesamt deutlich unterhalb der 500 Mark-Grenze angesiedelt sind und in erster Linie für Einsteiger in die ernsthafte Fotografie in Frage kommen. Was darf man von einer Spiegelreflexkamera zum Preis einer gutbürgerlichen Kompakten erwarten? Sicherlich kein High-Tech-Gerät mit vielen Finessen und hohem Bedienungskomfort. Was von den sechs Kandidaten geboten wird ist dagegen solide Hausmannskost, gepaart mit einer liebenswert rückständigen Komponente. Bei der praktischen Erprobung der sechs Minimal-Spiegelreflexkameras wunderte man sich zunächst daß Fotografieren mit solch steinzeitlicher Technik überhaupt möglich ist. Verwöhnt von Autofokus, Mehrfeldmessung, Motivprogrammen und programmierbarem Zoom sieht man sich hier mit Kameras in ihrer reinsten Form konfrontiert, denen man jeden Handgriff abtrotzen muß. Immerhin verwöhnen Minolta X-300s und Seagull DF-300 mit einer Zeitautomatik, die anderen erfordern zur korrekten Belichtungseinstellung den bei einfachen Kameras üblichen manuellen Abgleich von Zeit und Blende, wobei dort die einfachste Lösung auch die beste ist. Denn statt abwechselnd auf das Erlöschen von roten und das Aufleuchten von grünen Leuchtdioden zu warten, um dann endlich mit einer nicht definierten Blendenringposition zwischen zwei halben Rastungen grün zu sehen wie bei der Zenit und bei der Maginon, geht es auch präzise und kompromißlos wie bei der guten alten K 1000. Da gibt es am rechten Sucherrand in der Mitte eine eingelassene Kerbe welche die Meßnadel im Idealfall ausfüllt. Auch gezielte Über- oder Unterbelichtungen lassen sich so ohne weiteres nur aufgrund des visuell ermittelten Abstands von der Ideallinie machen. Überhaupt verdient bei den betrachteten Kameras der Sucher noch seinen ursprünglichen Namen. Er dient lediglich dazu, das Motiv zu finden und übernimmt sich noch nicht mit dem Nebenjob der Informationszentrale. Außer Abgleich und Motiv gibt es bei Pentax, Maginon und Zenit nichts zu sehen, die Seagull DF-300 läßt immerhin die Verschlußzeit erkennen, die die Kamera nach Blendenvorwahl selbsttätig wählt, die Minolta X-300s setzt mit der Blendenanzeige noch eins drauf. Blende und Verschlußzeit heißen auch die Hauptinformationen des Yashica-Suchers. Bei der Brillanz des Sucherbildes gibt es unter den Vertretern der Billigklasse große Unterschiede. Am besten schneidet die Mikrowabeneinstellscheibe der Minolta X-300s ab, die wirklich ein vorzügliches klares Bild liefert. Der weitgehend baugleiche Zwilling aus den Shanghai Camera Works mit dem blumigen chinesischen Namen "Seemöwe" steht dem erstaunlicherweise in nichts nach. Wie ein Blick durch einen Tunnel in der Dämmerung wirkt dagegen der Sucher der Zenit 12XP, der schlechteste im Vergleich. Nicht nur, daß er nur maximal achtzig Prozent des tatsächlichen Bildfeldes zeigt, auch die Scharfstellhilfe in Form eines einsamen zentralen Mikroprismenrasters macht es schon bei mäßigen Lichtverhältnissen schwer, genau zu fokussieren. Gut dagegen schneiden im Vergleich die Sucher der Pentax K 1000 und der Maginon K-1000 ab, wobei die chinesische Kopie einen gewissen Abstand zum Vorbild wahrt. Genauso wie Seagull DF-300 und Minolta X-300s keine echten Zwillinge sind, können Pentax K 1000 und No-Name respektive Maginon K-1000 nicht als baugleich gelten. Zwischen den beiden gibt es minimale Unterschiede. Die Maginon ist besser ausgestattet als die Pentax, sie hat ihr den Selbstauslöser und den nur von Ausstattungsfetischisten höher bewerteten LED-Abgleich voraus. Der Selbstauslöser ist ein Tribut an die chinesische Mentalität, denn im Reich der Mitte ist eine Kamera ohne Vorlaufwerk schier unverkäuflich. Lieben es die Chinesen doch über alles, sich vor den Denkmälern und Bauwerken ihrer traditionsreichen Kultur selbst abzulichten. Die Yashica FX-3 Super 2000 schneidet nicht nur in der Sucherdisziplin durchschnittlich, das heißt auf dem Niveau der Pentax K 1000 ab, auch in ihren sonstigen Eigenschaften spielt sie den Part der unauffälligen Kamera, die bis auf den schnellen Verschluß mit der 1/2000 Sekunde weder bemerkenswerte Höhen noch irgendwelche Tiefen offenbart.
In der unteren Preisklasse der Spiegelreflexkameras regiert der Rotstift. Das wird nicht nur bei den Ausstattungsmerkmalen deutlich, sondern vor allem in der Verarbeitungsqualität. Trotz großzügiger Verwendung von Kunststoff beim Gehäuse macht die Yashica FX-3 Super 2000 einen routiniert gefertigten Eindruck. Das gleiche gilt für die Minolta X-300s die jetzt im schwarzen Outfit nicht mehr das vortäuscht, was schon bei der Seagull nicht so ist wie es aussieht: Die Boden- und die Prismenkappe glänzen zwar wie Metall, sind aber in Wirklichkeit aus metallbedampften Kunststoff, eine Technik, die sich auch die Pentax K 1000 in ihrer neuesten Form zunutze macht. Auch das Zeiteneinstellrad mit integrierter Filmempfindlichkeitseinstellung ist neuerdings aus Kunststoff. Allerdings ist dies hier nicht die Preisklasse, Kunststoff zu geißeln. Am besten verarbeitet ist jedenfalls die Pentax K 1000, sie übertrifft in dieser Disziplin ihre Zwillingschwester Maginon K 1000 um Längen, die mit unsauber verklebter Belederung und unsauberen Gravuren das Auge des Kritikers auf sich zieht. Nicht nur Oberflächen und Materialien machen bei der Pentax K 1000 einen blitzsauberen Eindruck, auch das mechanische Feeling besticht durch hohe Perfektion. Filmaufzug und Auslösung funktionieren leise und geschmeidig, alle Hebel und Einstellräder rasten präzise. Bei der Seagull liegt die Qualität erstaunlicherweise exakt auf Minolta-Niveau, als ob die gleichen Werkzeuge von den gleichen Leuten bedient würden wie in Osaka. Nur das Objektiv fällt stark ab, zwar sind die Gravuren inzwischen peinlich sauber ausgeführt, der Fokussiertrieb hingegen mißfällt durch klickendes Spiel und durch schabende Geräusche bei der Verstellung. Das Original-Minolta-Objektiv dagegen kennt solche Probleme nicht.
Gemessen an russischen Verhältnissen im Kamerabau - die verschiedenen Kiev-Modelle wirken recht hemdsärmelig montiert - kommt bei der Kleinbild-Zenit fast ein gewisses Qualitätsgefühl auf, das insbesondere vom in jeder Beziehung tadellosen Objektiv und der reichlichen Verwendung von Messing am Gehäuse herrührt. Wie ein Zusammenprall zweier Welten nimmt sich dagegen die Kunststoffbodenkappe als Kontrast zur Messing-Prismenkappe aus. Auch die Gehäusekanten sind nicht gleichmäßig gefräst, was bei der schwarzen Lackierung kaum auffällt. Mit der Qualität der Zenit läßt es sich leben, wenn sie auch knapp hinter der Maginon an letzter Stelle rangiert. Weniger gut kann sich der Fotograf mit den Bedienungseigenheiten der Zenit anfreunden, die vielfach Relikte aus einer verflossenen Kameraära sind. Arbeitsblendenmessung heißt das erste zu entrichtende Tribut an die Rückständigkeit. Daß die Kamera in dieser Gruppe dadurch zwangsläufig als einzige eine Abblendtaste besitzt, mag trostreich sein, aber die Messung bei noch dunklerem Sucherbild durchzuführen als es bei offener Blende ohnehin schon ist, verlangt echte Nehmerqualitäten vom Fotografen, der für den Umgang mit der Russin schon ein paar nostalgische Gefühle, gepaart mit einem Sinn fürs Umständliche, mitbringen sollte. Der Verschluß eine Simpelkonstruktion, deren Rollo über hölzerne Stäbchen läuft, besonders schnell ist er auch nicht, die 1/500 Sekunde bewegt sich gerade auf Zentralverschluß-Niveau. Nach unten hin hört es bei der 1/30 Sekunde auf, die gleichzeitig auch Blitzsynchronzeit ist, für alle längeren Fälle gibt es ja noch B wie Ball.
Ganz anders hingegen die Minolta X-300s nebst chinesischer Zwillingsschwester, hier ist der quarzgesteuerte Schlitzverschluß, abgesehen vom nicht sehr großen Zeitenbereich von 1/1000 bis 4 Sekunden, ganz auf der Höhe der Zeit. Zwar nicht quarzgesteuert, aber aus Metall und bis zur 1/2000 Sekunde schnell, präsentiert sich der Metallschlitzverschluß der Yashica FX-3 Super 2000 der überdies mit der kürzesten Blitzsynchronzeit aufwarten kann.
Wer in dieser Preisklasse eine Spiegelreflexkamera einer Kompaktkamera vorzieht, hat sicherlich in erster Linie den Systemgedanken im Kopf. Bei allen sechs Kameras steht ein reichliches Objektivprogramm zur Verfügung. Die Minolta und die Seagull können auf das größte Objektivprogramm zurückgreifen. Vom 16 mm-Fisheye bis zum 1000 mm-Super-Tele lassen sich im Minolta MD-Objektivprogramm für alle Aufgabenbereiche die geeigneten Brennweiten finden. Für diese beiden Kameras ist sogar ein professioneller Motor-Drive, der maximal vier Bilder pro Sekunde transportiert, lieferbar. Zenit und Pentax profitieren vom universellen Charakter des M-4-, respektive Pentax K-Anschlusses. Offiziell gibt es für Zenit zwar kaum eigene importierte Objektive, aber es passen ja auch die Praktica-Objektive und Pentax-Takumare, die es gebraucht in großer Zahl gibt. Die Yashica kann neben der stark geschrumpften Yashica ML-Objektivpalette auch mit den hochwertigen Carl Zeiss-Objektiven bestückt werden, für Qualitätsfanatiker ist dies sicher ein wichtiges Argument - über die Bildqualität entscheidet schließlich das Objektiv
Apropos Bildqualität. Hier schneidet das Aschenputtel Zenit, die Kamera, die preislich hart an der Grenze des minimal Zulässigen angesiedelt ist, erstaunlich gut ab. Kontrast und Schärfe des vom Sonnengott Helios höchstpersönlich gerechneten Objektivs können sich sehen lassen, einzig eine gewisse Streulichtempfindlichkeit muß der Zenit attestiert werden. Die beiden Chinesen-Kameras Maginon K 1000 und Segull DF-300 profitieren hinsichtlich der Objektivqualität von den routinierten Rechnungen ihrer Vorbilder. Aber Objektive bestehen nicht nur aus theoretischer Rechnung, auch die Verarbeitungsqualität, wie beispielsweise das Mattlackieren des Tubus und die Vergütung, spielt hier eine wichtige Rolle. Deshalb konnten die Exiljapaner Yashica, Minolta und Pentax hier am meisten überzeugen.
Alle Kameras dieses Vergleichs lassen sich ohne Studium der Bedienungsanleitung sicher beherrschen. Am angenehmsten läßt sich die Minolta X-300s bedienen, der geschmeidige Touch-Switch-Auslöser, das leise Auslösegeräusch, das brillante Sucherbild und die präzise Fokussierbarkeit des Objektivs ergeben zusammen ein harmonisches Gesamtbild. An zweiter Stelle steht die Pentax K 1000, welche die solideste Kamera in dieser Gruppe ist. Sie verkörpert noch das Gefühl guter alter Mechanik, wohingegen die Minolta X-300s schon eher den modernen Leichtbau repräsentiert. Für Leute, die für wenig Geld eine Kamera fürs Leben erstehen wollen, ist die Pentax K 1000 die erste Wahl. Die Maginon K 1000 besticht durch ihren günstigen Preis, wer den Selbstauslöser nicht unbedingt braucht sollte aber trotzdem zum Vorbild Pentax K 1000 greifen. Die Yashica wirkt in diesem Vergleich etwas profillos, eine Kamera ohne Schwächen, aber vielleicht ist gerade diese Austauschbarkeit ihr Vorteil. Zum wirklichen Problemfall wird die Zenit. Die Arbeitsblendenmessung und der mit extrem langem Weg operierende Auslöser, der erstmal die Blende schließen muß, bevor er seine eigentliche Funktion wahrnimmt, das harte Geräusch und die klobige Form machen es schwer, eine Entscheidung für sie zu rechtfertigen. Trotzdem hat die Kamera ihre verborgenen Reize. Sie liegen im schweren robusten Gehäuse tief verborgen, ein Hauch Exotik schwingt mit, weil es sich ja im Gegensatz zu den chinesischen Plagiaten um eine originäre russische Konstruktion handelt, kurz gesagt, es ist dieser liebenswerte Hauch von Nostalgie, für den es sich durchaus lohnen kann, 200 Mark für die Zenit zu opfern, fall man ein Faible für Außergewöhnliches hat.

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