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Artikel

1997

Kaufberatung

Ist die Mamiya 6 ihr Geld wert?

Betont anspruchsvoll

Zwei Attribute treffen auf die Mamiya 6 auf Anhieb zu. Sie ist die einzige Mittelformat-Meßsucherkamera, und sie ist teuer. Einmaligkeit hat ihren Preis, aber ist die Sucher-Mamiya auch ihr Geld wert? Schließlich lauert die Leica M6 im Schatten und versucht, den Formatvorsprung durch Prestige und Qualität wettzumachen

Mittelformatkameras, die nach dem Spiegelreflexprinzip arbeiten, kommen voluminös und schwer daher. Für die Benutzung im freien oder gar als Reisekamera ist eine Hasselblad 500 C/M oder Rolleiflex 2,8 GX zwar noch gerade geeignet, ein Sortiment mit den nötigsten Objektiven 50 mm, 80 mm und 150 mm beeinträchtigt aber schon die Tragfähigkeit selbst von Foto-Athleten. Sucherkameras gelten in der Regel als antiquiert, und das Meßsucherprinzip schien zumindest in Japan fast vergessen, bis Mamiya 1989 die 6 präsentierte. Die Entscheidung für diese Kamera muß in einem Zeitalter der High-Tech-Fotografie als mutig gelten. Obwohl sie seit Produktionsende der Makina 67 im Mittelformat außer Konkurrenz läuft, lauert doch stets die Leica M6 auf potentielle Mamiya 6-Käufer. Sie profitiert nicht nur vom hohen Preis der Mamiya 6, die knapp 4000 Mark inklusive Standardobjektiv 3,5/75 Millimeter kostet - auch der in letzter Zeit angesichts hochleistungsfähiger Kleinbildfilme in Frage gestellte Qualitätsvorsprung des Mittelformats mag eine Kaufentscheidung zugunsten des deutschen Fabrikats mit dem hohen Wiederverkaufswert beeinflussen.
Echte Mittelformatenthusiasten wischen solche Zweifel mit einer brillanten 6x6-Diaserie weg, und gerade in der großformatigen Projektion wird der Unterschied zwischen Mittelformat und Kleinbild besonders deutlich. Hinzu kommt das leichtere Handling mit den großen Dias, die bereits ohne Leuchttisch und Lupe relativ gut gesichtet, kontrolliert und geordnet werden können, und die weise Beschränkung auf nur zwölf Aufnahmen pro Film gewährleistet fast schon überlegt gestaltete Fotos.
Ein wenig erinnert die Mamiya 6 schon an die Plaubel Makina 67, nicht nur die Gehäuseform weckt Reminiszenzen an die einst bei Mamiya im Auftrag gebaute Plaubel, auch das technische Konzept läßt Parallelen erkennen. Die Makina 67 besaß einen eingebauten Balgen und funktionierte nach dem sogenannten Scheren-Spreizsystem, und auch die Mamiya 6 verfügt über einen Objektivtubus, mit dessen Hilfe das Objektiv während des Transports versenkt werden kann.

Synthese aus Tradition und Fortschritt

Dieser Tubus entpuppt sich nach dem Öffnen der Rückwand aus der Innenansicht als filigraner Balgen. Abgesehen vom althergebrachten Meßsucherprinzip und dem bei modernen Kameras gänzlich verschwundenen Balgen bekam die Mamiya 6 als für die neunziger Jahre konzipierte Kamera natürlich auch ein paar moderne Ausstattungsmerkmale mit auf den Weg, wie zum Beispiel die numerische Verschlußzeitenanzeige über Leuchtdioden im Sucher, die elektronische Steuerung des objektivseitiger Zentralverschlusses, das elektronische Vorlaufwerk und die Zeitautomatik mit Meßwertspeicher.

Der geniale Trick mit dem Hilfsverschluß

Größe und Gewicht sind für eine Mittelformatkamera noch akzeptabel, vor allem wenn man vorher die recht voluminösen Autofokus-Spiegelreflexkameras gewöhnt war. Trotz ihrer ausgeprägten Handlichkeit erfordert das Umsteigen auf die Mamiya 6 aus drei Gründen eine gewisse Umstellung. Zum einen ist es das Meßsucherprinzip mit dem in den Sucher integrierten Mischbildentfernungsmesser, der etwas Gewöhnung erfordert, bis man ihn wegen seiner großen Präzision gerade bei schlechten Lichtverhältnissen schätzen lernt, zum anderen ist es der Objektivtubus, der vor dem Fotografieren per Knopfdruck gelöst werden muß.
Außerdem gilt es die Position des sogenannten Hilfsverschlusses beim Objektivwechsel zu beachten. Damit nämlich beim Objektivwechsel nicht versehentlich Licht auf den Film fällt - die Kamera ist ja verschlußlos, der Zentralverschluß sitzt im Objektiv - gibt es ein Rollo, das als Hilfsverschluß funktioniert und die Filmoberfläche lichtdicht abschottet. Mit einem Drehknopf an der Kameraunterseite wird das Rollo geöffnet, respektive geschlossen. Beim Objektivwechsel muß es geschlossen werden, beim Fotografieren naturgemäß geöffnet bleiben. Damit nicht Lichteinfall den Film verdirbt oder der Film wegen eines geschlossenen Rollos unbelichtet bleibt, haben die Mamiya-Konstrukteure wichtige Sicherungen nicht vergessen: Die Kamera läßt sich nicht auslösen, wenn das Rollo geschlossen ist, das Objektiv läßt sich nicht entriegeln, wenn der Hilfsverschluß offenbleibt.
Bis auf diese Eigenheiten kommt jeder Fotograf mit der Kamera auf Anhieb gut zurecht. Die Handlichkeit der Mamiya 6 verleitet geradezu zum Fotografieren, dank Zeitautomatik kann
man ohne umständliches Nachführen schnell reagieren. Die Meßwertspeicherung ersetzt zwar keine Spotmessung, erweist sich jedoch bei kontrastreichen Motiven durch gezielte Überbelichtung als sehr hilfreich. Sie ist ebenso wie die Zeitautomatik, mit der sie gekoppelt ist, über den Verschlußzeitenknopf einzustellen, bei aktivierter Speicherfunktion leuchtet die gespeicherte Zeit auf. Die Mamiya 6 wäre keine ernstzunehmende Mittelformatkamera, wenn der Fotograf nicht über die Automatikfunktionen hinaus alle Freiheiten zum manuellen Eingriff hätte. Im Manualmodus leuchtet die eingestellte Zeit im Sucher konstant, während die vom Belichtungsmeßsystem ermittelte blinkt. Auch an ein Override haben die Mamiya-Konstrukteure gedacht, die Filmempfindlichkeitseinstellung, deren Bereich von ASA 25 bis 1600 reicht, läßt sich nach alter Spotmatic-Manier durch Anheben des Verschlußzeitenknopfes verstellen. Leider mißt die Mamiya 6 die Belichtung nicht durch das Objektiv, die Silizium-Fotodiode sitzt im Sucher, deshalb sind bei Filterverwendung Korrekturfaktoren nötig. Spotmessung und TTL-Messung würde man sich bei der Mamiya 6 also noch wünschen, keine Wünsche offen läßt die Qualität des Endprodukts so hoher konstruktiver Anstrengung. Wo vielleicht die ungewohnte Auslegung der Kamera noch Skepsis erzeugt, bei der Bildqualität gibt es nur noch eine Meinung, und die heißt: hervorragend. Schon das Standardobjektiv vermag in dieser Disziplin Erstklassiges zu leisten. Es überzeugt durch gestochene Schärfe bis an den Rand, gepaart mit hohem Kontrast. Noch eine Spur brillanter wirken Aufnahmen mit dem Teleobjektiv 4,5/150 mm und dem Weitwinkelobjektiv 4/50 mm. Gerade bei dem Teleobjektiv rangierte bestmögliche Abbildungsqualität vor maximaler Lichtstärke. Das 150er ist aus ULD-Gläsern gefertigt, sie verringern die chromatische Aberration auf ein Minimum und gewährleisten einen besonders hohen Kontrast. Der Mythos Zeiss im Mittelformat wird durch diese japanischen Objektiv-Perlen zur Mamiya 6 jedenfalls auf eine harte Probe gestellt. Sicher liegt die außergewöhnliche Schärfe auch an der erschütterungsfreien Auslösung ohne Spiegelschlag und an dem satten Gewicht der Kamera, das Verwacklungen eine gewisse Trägheit entgegensetzt. Ein Stativ haben wir jedenfalls für die Praxisaufnahmen nicht eingesetzt, es würde dem eindeutigen Field-Charakter dieser handlichen Mittelformatkamera auch völlig widersprechen.
Trotz eingangs zitierter Gemeinsamkeiten mit der Leica M6, die hinsichtlich der Philosophie dieser Kameras zweifellos vorhanden sind, bestimmt das klassische Mittelformat den völlig eigenständigen Charakter der Mamiya 6.

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