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Artikel
1997
Beratung
Marktübersicht: Teure Spiegelreflexkameras ohne Autofokus
Klassiker der Moderne
Wer heutzutage noch eine Spiegelreflexkamera ohne Autofokus wünscht, hat nur noch die Wahl zwischen preislichen Extremen. Die Alternative lautet: ganz billig oder ganz teuer. In der Preisklasse über 1000 DM tummeln sich die begehrenswertesten Modelle. Mehr als zehn werden es allerdings nicht mehr werden. Wir stellen die letzten Klassiker der Moderne vor.
Auch das heutige Kameraangebot läßt noch genügend Nischen geöffnet für jene, die gegen den High-Tech-Strom schwimmen wollen und in einer Zeit der großen technischen Strömungen, die auf ein immer uniformer werdendes Produkt, nämlich das Optimum zielen, lieber das traditionell Gewachsene wollen. Die preiswerteste Möglichkeit, einen Kameraklassiker im Stil der siebziger Jahre mit feinem, berühmtem Namen und ohne den von Puristen indizierten Werkstoff Polycarbonat zu erwerben, heißt Nikon FM2. Diese Spiegelreflexkamera besticht durch gekonntes Weglassen, dafür präsentiert sich aber das, was blieb, in hoher Perfektion und Qualität.
Statt Programmeingabe wie bei EOS und Dynax erfolgt das Einstellen der richtigen Kombination von Zeit und Blende nach den Angaben des LED-Belichtungsmessers per Abgleich. Statt LCD-Monitor gibt es wenige, klar ablesbare Sucherinformationen, statt Chipkarten oder Barcode sind Abblendtaste, eingebauter Okularverschluß und Auslöser mit Gewinde vorhanden. Bei Batterieausfall bleibt die FM2 weiterhin einsatzbereit, wenn es sein muß, sogar bis zur 1/4000 Sekunde, diese Dynamik wird vom als Zubehör lieferbaren Motor MD-12, der Serien bis zu 3,5 Bildern pro Sekunde ermöglicht, noch unterstrichen. Einmal mehr fiel bei der Nikon FM2 die unerhörte Handlichkeit auf, Kameragröße und Gewicht sind schlichtweg ideal.
Die Nikon F3, Profikamera schlechthin und nach wie vor Synonym für Qualität und Anspruch der Marke Nikon, kostet fast doppelt soviel wie die FM2, ohne auf den ersten Blick bedeutend mehr zu bieten. Äußerlich kommt sie wesentlich repräsentativer daher als die kleine Schwester. Der voluminöse, wechselbare Sucheraufsatz und das kantige, wuchtige Giugiaro-Design der ausgehenden siebziger Jahre kehren Attribute wie Robustheit und das Image vom Profi-Werkzeug für harten Einsatz auch nach außen.
Evergreen F3
Die F3 ist auch technisch für sogenannte Profiansprüche bestens gerüstet. Die mechanische Notzeit von 1/60 Sekunde funktioniert auch ohne Batteriestrom, der Auslöser, im Normalbetrieb elektromagnetisch, erhielt einen mechanischen Gehilfen, der in solchen Fällen in Aktion tritt. Nikon offeriert für die F3 ein breites Angebot an Sucheraufsätzen und verschiedenen Einstellscheiben, der Motor Drive MD-4 schafft maximal sechs Bilder pro Sekunde. Doch das ebenso seltene wie archaische "T" auf dem Verschlußzeitenrad und die kleine, unscheinbare schwarze Taste neben dem Objektiv entlarven die F3 als wahrhaftige Profikamera. Gewiß, der Verschluß der FM2 ist schneller, die Blitzsynchronzeit von 1/80 Sekunde für heutige Begriffe mager, und das LCD-Display muß nach zehn Jahren ausgewechselt werden, weil die Helligkeit nachläßt; dennoch ist der F3 unter den Klassikern der Moderne ein Ehrenplatz sicher. Die Fans halten uneingeschränkt zu ihr, so daß Nikon die ursprünglich bis 990 gegebene Produktionsgarantie verlängert hat. Leider ließ man der F3 keine offensichtliche Modellpflege angedeihen, der Ruf nach einer umschaltbaren Meßmethode von Integral auf Spot blieb ebenso ungehört wie der Einbau des fortschrittlicheren FM2-Verschlusses in die F3. Dafür gab es zwei Sondermodelle: F3-Press und F3/T.
Still going strong
Mit dieser Kamera versuchte Pentax 1980 wieder in das Profisegment vorzustoßen, das einst mit der Spotmatic erschlossen, dann aber spätestens mit der M-Serie wieder vernachlässigt wurde. Dabei entsprach die LX dem Lastenheft für Profikameras bis aufs Detail. Im Gegensatz zu den Nikon-Konstrukteuren begnügten sich die Pentax-Techniker nicht nur mit einer Notzeit, sondern schufen einen sogenannten Hybrid-Verschluß (Hybrid gleich Zwitter), der bei manueller Einstellung bis zu einer 1/75 Sekunde mechanisch und bei Zeitautomatik elektronisch gesteuert arbeitet.
Die LX fällt zunächst einmal durch ihre Unscheinbarkeit auf. In den Maßen entspricht sie ungefähr der Nikon FM2. Um so mehr erstaunt, was in diesem relativ kompakten Gehäuse alles untergebracht wurde. Der LX-Fotograf muß weder auf eine Spiegelarretierung noch auf einen Wechselsucher verzichten, das Gehäuse ist sogar gegen Spritzwasser besonders gut abgedichtet. Nach dem deutlichen Preisschub der F3 spricht für die LX der - gemessen an der Kameraklasse - relativ günstige Preis. Die Kamera dürfte in erster Linie eine Herausforderung an die Pentax-Aufsteiger sein oder Liebhaber des reinen Understatements ansprechen, denn optisch unterscheidet sich die Kamera kaum von einer Pentax ME-super.
Canon war der erste japanische Hersteller, der die Nikon-Dominanz im Profi-Lager brechen wollte. Dazu schickte der Stückzahlgigant ab 1970 die F-1 ins Rennen, die dann 1981 von der neuen F- 1 abgelöst wurde. Ein Achtungserfolg konnte mit beiden Modellvarianten erzielt werden. In der Profi-Ausrüstung belegt Canon
weltweit, allerdings mit großem Abstand zu Nikon, den zweiten Rang. Die neue F-1 geriet zum großen Wurf. Ihre Stärke ist die baukastenartige Ausbaufähigkeit. Setzt man eine andere Einstellscheibe ein, ändert sich bereits die Charakteristik des Belichtungsmessers; man hat eine Spotmessung statt einer mittenbetonten Integralmessung zur Verfügung. Das AE-Prisma verwandelt die Kamera in einen Zeitautomaten, ein angesetzter Winder oder Motor läßt die Kamera zum Blendenautomaten mutieren. Für die Canon F- I spricht außerdem die analoge Anzeige von Zeit und Blende, die stets gut ablesbar ist. Auch den Hybrid-Verschluß, der bei Batterieausfall nicht nur die Funktion einer Notzeit, sondern der ganzen kurzen Verschlußzeitenreihe gewährleistet, hat die Canon F-1 der Nikon-Konkurrenz in Gestalt der F3 voraus.
Qual der Wahl in der Profiklasse
Eine Entscheidung zwischen Nikon F3 und Canon F-1 fällt nicht leicht. Wer vom System her vorbelastet ist, für den lohnt es sich auf keinen Fall zu wechseln. Newcomer könnten auf dem ersten Blick eher der Canon zusprechen, weil sie das konsequentere Konzept besitzt.
Gerade die unsichere Zukunft eines einst blühenden Kamerasystems muß die Freunde der Olympus OM-4 Ti pessimistisch stimmen. Als letzter Ableger des einst legendären und sehr erfolgreichen OM-Systems mag die Kamera auch heute noch einen hohen Stellenwert besitzen; es macht sich allerdings trotzdem so etwas wie Endzeitstimmung breit, wenn wichtige OM-Objektive nach und nach ersatzlos verschwinden. Dabei hätte die Olympus OM-4 Ti besseres verdient, als einsam auf beinahe verlorenem Posten zu kämpfen. Im Prinzip handelt es sich bei der mit Titankappen veredelten Kamera um den späten Nachfahren der Olympus OM-2, der Kamera, die einst durch ihr autodynamisches Meßsystem Furore machte und die zusammen mit der OM-2 das Olympus-Image so klassenlos machte, daß es so gar mit dem Nikon-Renommee konkurrieren konnte.
Die OM-4 Ti übernahm den Tuchschlitzverschluß als Erbmerkmal der OM-Reihe und besitzt deshalb nicht nur ein sehr diskretes Auslesegeräusch, sondern auf der Sollseite auch eine unzeitgemäß lange Blitzsynchronisationszeit. Sie besticht durch ihre kompakten Ausmaße, ihr dezent wertvolles Äußeres signalisiert, daß man es mit einer besonderen Kamera zu tun hat. Zu den inneren Werten der Kamera gehört ein ausgeklügeltes Belichtungsmeßsystem mit gezielter Möglichkeit der Beeinflussung über Highlight- und Shadow-Taste. Analoge LCD-Anzeigen teilen dem Fotografen im Sucher mit, was eingestellt und gemessen wurde, obwohl dies gegen das "heilige" Prinzip der autodynamischen Meßmethode verstößt, die ja noch nach Betätigung des Auslösers und nach dem Hochklappen des Spiegels Belichtungsveränderungen wahrnimmt und die Belichtungszeit entweder verkürzt oder verlängert. Bei der Spotmessung sind solche Änderungen nicht mehr möglich. Die Olympus OM-4 Ti darf nicht verschwinden - sie ist Aushängeschild der Olympus-Tradition im Spiegelreflexkamerabau und hält die Maitani-Prinzipien wie miniaturisierte Technik, leise Operation und raffinierte Belichtungsmeßmethoden aufrecht.
3003 - bewußt anders
Wahrhaft maßgeschneidert für Individualisten kommt die Rolleiflex 3003 daher, eine Kamera, die zunächst so wirkt, als hätte sie sich im Format geirrt. Aber in das Wechselmagazin paßt ein Kleinbildfilm, und spätestens nach dem Aufklappen des winzigen Lichtschachtsuchers merkt der Fotograf, daß er es mit einer Kleinbildkamera zu tun hat, die erstmalig mit dem Barnackschen-Baumuster völlig bricht. Das Baukastenprinzip einer System-Mittelformatkamera wurde hier auf das nächstkleinere Aufnahmeformat übertragen. Heraus kam dabei etwas Einmaliges, nämlich eine Kleinbildkamera mit Lichtschachtsucher und Wechselmagazin, an der sich wie an keiner anderen die Gemüter erhitzen. Technische Originalität ist nicht die einzige Stärke der Rolleiflex 3003, sonst würde sich die Kamera nicht nach kurzer Eingewöhnungszeit so angenehm bedienen lassen. Der Lichtschachtsucher eröffnet völlig neue Möglichkeiten der unbemerkten Fotografie, die Wechselkassette sorgt dafür, daß es keinen falschen Film für die richtige Gelegenheit mehr gibt. Die technische Ausstattung ist, von den beschriebenen Einmaligkeiten einmal abgesehen, für heutige Verhältnisse
nicht sensationell, es gibt keine Spotmessung, und die Rückspulung des Films muß von Hand erfolgen. Auch ist der Fernrohrsucher mit den leicht flimmernden Leuchtdiodenanzeigen für Verschlußzeit und Blende nicht jedermanns Sache. Kein Zweifel, die Rolleiflex 3003 ist nicht nur individuell, sondern ein Original, und ein solches ist später bekanntlich als Sammelobjekt immer besonders teuer.
Von den Zeiss-Objektiven zur Rolleiflex ist die Brücke zur Contax RTS schnell geschlagen. Ins siebzehnte Jahr ging das Real Time System, das durch die Kooperation zwischen Yashica und Carl Zeiss und die gestalterische Handschrift von Ferdinand A. Porsche Kamera wurde, mit einem neuen Modell, das endlich so sensationell ist, wie man es schon vor siebzehn Jahren gerne gehabt hätte. Die neue RTS ist technisch mit Hochgeschwindigkeitsverschluß, wählbaren Belichtungsmeßarten, eingebautem Blitzbelichtungsmesser und der einzigartigen pneumatischen Filmandruckplatte so auf der Höhe der Zeit, daß sie eigentlich schon einen postmodernen Klassiker abgibt. Die negativen Seiten eines High-Technology-Kamerakonzepts, sprich die Bevormundung durch Belichtungsprogramme, wurde dabei bewußt vermieden. Dafür regieren Solidität und beste Verarbeitung zusammen mit einem Preis, der die Contax zu einer Luxuskamera macht.
Nun nicht mehr allein, aber dafür im Schatten der übergroßen Superlativschwester steht die Contax 167 MT, die in schweren Zeiten allein den traditionsreichen Markennamen Contax hochhalten mußte. Die preisliche Abgrenzung ist dafür voll gegeben: Drei Contax-167 MT-Gehäuse mit Planar 1,7/50 mm ergeben gerade eine RTS III. Aber 167 MT bedeutet sparen, ohne zu darben. Bei so üppiger Ausstattung mit Spotmessung, schnellem Verschluß, Multi-Belichtungsautomatik und motorischem Vor- und Rücktransport des Films bleiben kaum Wünsche offen, und die Bracketing-Einrichtung erfüllt sogar einen Wunsch, der nie geäußert wurde.
Präzision bei Leica
Das Leica-Spiegelreflexprogramm präsentiert sich nun zu einer wahrhaftigen Baureihe vereint. Der Einstieg in das Leica-R-System mit den leistungsfähigsten Kleinbild-Objektiven der Welt erfolgt über die Leica R-E, bei der es sich um eine abgespeckte Version der R 5 handelt, der nächsten Stufe in der Leica-Modellhierarchie, die neben einem deutlich höheren Preis auch zusätzlich eine Zweifach-Programmautomatik und eine Blendenautomatik bietet. Die Spitze markiert die bis auf den Selbstauslöser vollmechanische arbeitende Leica R6, dem Reflex-Gegenstück zur berühmten Meßsucher-Leica. Am überzeugendsten wirkt die R-E; die Kamera besitzt alles, was der Mensch zum Fotografieren braucht und vieles mehr. So hat sie bereits die Leica-typischen zwei Meßmethoden Integral- und Selektivmessung und ist in der hochwertigen Machart mit kugelgelagertem Aufzug, solidem Gehäuse aus Messing und Leichtmetall-Legierengen ausgeführt.
Die Leica RS hat den Charakter eines Economy-Modells auch vom Preis her gründlich abgelegt und besitzt wirklich alle sinnvollen Finessen, die das Fotografieren komfortabel und bedienungsfreundlich gestalten. Die Leica R6 hingegen verkörpert wieder das sinnvoll Notwendige, gepaart mit hochwertiger Mechanik. Sie entspricht voll der Leica-Philosophie vom zeitlos Wertbeständigem. R-E und R6 sind aufgrund ihres, unterschiedlichen technischen Aufhaus sehr verschieden. Wer Mechanik nicht unbedingt braucht, sie aber will, kann sich getrost eine preisgünstige R-E kaufen und noch eine Nikon FM2 dazu.
Bei den Spiegelreflexkameras ohne Autofokus bleibt noch Spielraum für technische Individualität. Die Modelle, aus denen sich die teure Klasse von 1000 DM aufwärts zusammensetzt, haben nichts von der uniformen Homogenität, die die Kameras der neuen High-Tech-Generation heute so ähnlich macht. Das erleichtert die Entscheidung für ein bestimmtes Modell, vor allem, wenn sie von so unterschiedlicher Ausprägung sind wie die vorgestellten elf Kameras. Ganz besonders groß in der Leistung und klein im Preis ist dabei die Nikon FM2. Wer eine zeitlose Alternative zur Autofokus-Spiegelreflexkamera sucht, ist mit dieser Kamera sehr gut bedient.
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