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Artikel

1997

Beratung

Was wird aus Praktica?

Schwanengesang

Die erste Schlagzeile nach der Wiedervereinigung hieß: "Aus für Pentacon", und sie wurde von Fotoindustrie und Fotografen mit Trauer und Betroffenheit vernommen. Was kommt danach? Totalausverkauf zu Schleuderpreisen ohne Servicegarantie? Oder gibt es noch eine Chance für Praktica-Fotografen, die bewährten Kameras der Marke, die deutsche Spiegelreflex-Tradition verkörpert, zu erhalten und das System weiter auszubauen?

Ausgerechnet der 3. Oktober 1990, Tag der Wiedervereinigung und Eröffnungstag der photokina zugleich, bildete den Hintergrund für die Schreckensnachricht des Jahres in der Fotoindustrie. Die Berliner Treuhandanstalt, Verwalterin der ehemaligen volkseigenen Großbetriebe im Osten Deutschlands, ordnete die stille Liquidation der Pentacon GmbH an. In der Begründung hieß es unter anderem "weil die Kameras von Pentacon unter Marktbedingungen nicht kostendeckend hergestellt und mit Erfolg vermarktet werden können". Dieses harte marktwirtschaftliche Urteil traf nicht nur die Messebesucher und Fachjournalisten unerwartet, auch die Mitarbeiter von Pentacon konnten es nicht fassen. Die Pentacon-Pressesprecherin überreichte die photokina-Pressemappe, die den Prospekt der neuen, sehr gefällig gestylten BX-20s und zugleich die Hiobsbotschaft der Treuhandanstalt enthielt, mit Tränen in den Augen. Dazu sagte Sie: "Die BX-20s war die große Hoffnung, der Treuhandbericht ist der Untergang." Damals wollte man es noch nicht wahrhaben, daß mit einem Federstrich das Todesurteil über den größten Kamerahersteller Europas vollstreckt wurde, doch heute, exakt zwei Monate danach, kann es keinen Zweifel mehr geben, daß der Name Praktica nun endgültig Geschichte ist.
Es wird keine preiswerten Spiegelreflexkameras aus Dresden mehr geben, die als einzige der übermächtigen japanischen Konkurrenz in großen Stückzahlen Paroli bieten konnten, wenn auch nur durch die DDR-Subventionswirtschaft. Die Praktica-Kameras hatten zwar nie einen besonders guten Namen, der allerdings in erster Linie ideologisch, weniger von der Qualität der Produkte her belastet war, wurden aber bis zuletzt auch auf einem so anspruchsvollen Markt wie dem bundesdeutschen in hohen Stückzahlen verkauft. Bei den Spiegelreflexkameras lagen sie 1988, als es die M-42-Modelle noch gab, noch auf dem sechsten Platz, in Großbritannien gar steht die Marke mit dem guten Verhältnis von Preis und Leistung seit Jahren auf Platz eins. Eine BX-20 müßte nach den Berechnungen der Treuhand-Wirtschaftsprüfer 1000 DM kosten, damit eine dem Aufwand angemessene Rendite erzielt werden kann, und zu dem Preis ist die Kamera, die sich damit auf dem Niveau einer Nikon FM2 befinden würde, sicherlich unverkäuflich.
Die Beroflex AG, traditioneller Praktica-lmporteur für die Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung, bietet als einziges Modell nur noch die BX-20 an, deren Preis mit rund 400 DM stabil blieb und die sich laut Beroflex-Vorstand Heiner Schiffers sogar seit Verkündigung des Todesurteils steigender Nachfrage erfreut. Die Produktion der Kamera aus Ersatzteilbeständen läuft zum Jahresende aus. Dennoch wird es auch in ferner Zukunft keine Serviceprobleme geben, die autorisierten Vertragswerkstätten tragen mit ihrer Ersatzteil-Logistik der millionenfachen Verbreitung der jüngeren Praktica-Modelle ab 1975 Rechnung. Engpässe zeichnen sich aber schon jetzt bei Objektiven und Zubehörartikeln ab. Insbesondere die begehrten Objektive aus Jena wie das Flektogon 2,8/20 mm, das Pancolar 1,8/80 mm oder das Jena S 2,8/200 mm sind nur noch schwer zu bekommen. Außerdem zogen die Preise für diese Spezialitäten seit der Währungsunion kräftig an. In der M-42-Schraubfassung sind diese Objektive schon gar nicht mehr lieferbar. Wer also seine Praktica-BC-1- oder BX-20-Ausrüstung komplettieren will, der sollte es möglichst schnell tun, zumal die Beroflex AG ab 1. April 1991 den Vertrieb der Chinon-Kameras in Deutschland übernehmen will und damit in Zukunft andere Schwerpunkte setzt.
Nach Verkündung der künftigen stillen Liquidation der Pentacon GmbH standen die Interessenten für eine eventuelle Übernahme des von der Schließung betroffenen Werks Schlange. Japaner, Deutsche und Koreaner gaben sich die Klinke in die Hand, aber schon nach kurzer Analyse der Situation winkten viele ab. Die veralteten, viel zu personalintensiven Fertigungsmethoden und ein renovievierungsbedürftiger Maschinenpark sind offenbar eine zu teure Mitgift für das begehrte konstruktive und feinmechanische Know-how der Dresdner Mannschaft. Kurzfristig war einmal die Leica GmbH als potentieller Übernahmekandidat im Gespräch, die Wetzlarer wollten einen Teil des riesigen Betriebs als Zulieferer für ihre Fertigung umfunktionieren. Doch das Vorhaben scheiterte. Noch allerdings ist nicht aller Tage Abend. Zur Zeit verhandelt die Graue Eminenz der deutschen Fotoindustrie, Heinrich Manderman, mit der Treuhandanstalt um die Übernahme von Pentacon.
In diesem Zusammenhang ist auch eine Bundesbürgschaft im Gespräch, denn die rund 5000 Mitarbeiter, die von der Schließung betroffen sind, rufen soziale und politische Verantwortung auf den Plan. Die Manderman-Gruppe besteht bislang aus den Firmen Schneider-Kreuznach, Rollei Fototechnic, der Filterfabrik B+W, der Beroflex AG und der Exakta-66-Fertigung in Berlin. Nach einer eventuellen Übernahme könnte die ehemalige Pentacon GmbH als Zulieferer innerhalb des Firmenverbundes tätig werden.
Spiegelreflexkameras unter dem Namen Praktica wird es in Zukunft nicht mehr geben. Diese hatten ihren festen Platz in der Einsteigerklasse unter 500 DM und sind zum doppelten Preis nicht mehr konkurrenzfähig, auch wenn sich die Pentacon-Ingenieure immer Mühe gegeben haben, den rund zehnjährigen Vorsprung der Japaner nicht größer werden zu lassen. Aber die Dresdner feinmechanische und optische Tradition wird wohl weitergeführt werden. Sicher ein schwacher Trost für Praktica-Fans und viele Pentacon-Mitarbeiter, die zwanzig Jahre später das gleiche Schicksal erleiden, das Voigtländer, Zeiss-lkon, Edixa und andere vorexerziert haben, nämlich die Kapitulation vor den großen Kameraherstellern aus Japan.

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