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Artikel
1997
Beratung
Rolleiflex SL 66 SE gegen Rolleiflex 6008
Das ungleiche Paar
Für das klassische Mittelformat 6 x 6 Zentimeter offeriert Rollei zwei gleich teure Alternativen, die Rolleiflex SL 66 SE und die Rolleiflex. 6008. Die beiden Kameras unterscheiden sich ansonsten aber grundlegend voneinander und sprechen unterschiedliche Fotografen-Charaktere an.
Bei zwei Kameras, die das gleiche Bildformat offerieren, gleich teuer sind und dem selben Kameratyp angehören, besteht die Gefahr der Konkurrenz im eigenen Haus für den Hersteller und der verzwickten Kaufentscheidung für den Fotografen. Rollei deckt die gehobene Preisklasse im Mittelformat mit der modernen, komfortablen und fortschrittlichen Rolleiflex 6008 ab und bietet zusätzlich die altbewährte SL 66 SE an, die so mache fotografische Aufgaben lösen hilft, bei der die 6008 passen muß.
Rund 25 Jahre ist es her, da stellte Rollei - zur photokina 1966 - eine ganz und gar ungewöhnliche Kameraneuheit vor. Die SL 66 drang in die Monokultur der bis dahin zwar immer noch erfolgreichen, aber unter einem sinkenden Stern stehenden zweiäugigen Kameras aus Braunschweig ein. Sie bot Rollei-Fotografen endlich das, was sie solange entbehrt hatten, nämlich Wechselobjektive. Das Ungewöhnlich an der Rolleiflex SL 66 war, daß sie nicht einfach der Hasselblad nachempfunden wurde, sondern mit einer Fülle origineller, eigenständiger Lösungen aufwartete. Die Rollei-Konstrukteure wollten die neue Kamera als Bindeglied zwischen Mittelformat und Großbild verstanden wissen. So versahen sie die SL 66 mit einem eingebauten Balgengerät, das nicht nur zur Fokussierung der ohne Schneckengang ausgerüsteten Objektive dient, sondern sich nach oben und unten um acht Grad neigen läßt. Durch diesen technischen Kunstgriff eröffnet die SL 66 dem Fotografen Verschwenkungsmöglichkeiten wie beim Großbild, allerdings von geringerer Wirksamkeit. Trotzdem reicht der relativ kleine Schwenkbereich der Objetivstandarte bereits aus, um schwierige Aufgaben der Alltagsfotografie zu lösen. O lassen sich mit einem 50mm-Weitwinkel stürzende Linien bei Architekturaufnahmen vermeiden, und - was in der Praxis noch wichtiger ist - die Schärfentiefe im Nahbereich wird durch die Neigung des Kamerabalgens deutlich erhöht.
Die Rolleiflex SL 66 ist eine vorzügliche Kamera für Nahaufnahmen. Schon ohne Zubehör, lediglich mit dem Standardobjektiv Planar 2,8/80 mm bestückt, läßt sich mit dem in Retrostellung befindlichen Objektiv ein Abbildungsmaßstab von 1:1,56 erzielen - das entspricht einer Abbildung in zirka anderthalbfacher natürlicher Größe. Gerade diese konstruktionsbedingte Präferenz für Nahaufnahmen macht die Rolleiflex SL 66, auch in ihrer heutigen Version mit der Zusatzbezeichnung SE, so einzigartig. Die logische Fortsetzung dieses Konzepts findet sich im Balgen, der in seiner Schwenkbarkeit für eine erhebliche Auszugsverlängerung sorgt; sie bewirkt eine erstaunliche Dehnung der im Nah- und Makrobereich ohnehin knapp bemessenen Schärfentiefe. Dieser Effekt wurde von dem deutschen Geodäten Theodor Scheimpflug entdeckt und folgendermaßen formuliert: Bedingung für die Gesamtschärfe einer Aufnahme ist, daß sich Motivebene, Objektebene und Filmebene auf einer gemeinsamen Geraden schneiden.
Mehr Schärfentiefe
Diese optische Gesetzmäßigkeit ist die theoretische Basis für durchgängig scharfe Table-Top-Aufnahmen, die insbesondere in der Sachfotografie unentbehrlich sind. Die Rolleiflex SL 66 SE ist als wirtschaftliche Alternative zur Großbildkamera häufig die ideale Lösung, um die Scheimpflug-Theorie in die Praxis umzusetzen. Die Rolleiflex SL 66 SE ist jedoch nicht nur eine Spezialkamera für die Makro- und Table-Top-Fotografie, sondern darüber hinaus eine universelle Mittelformatkamera, die selbst schwierige fotografische Anforderungen meistert. Sie besitzt einen Schlitzverschluß, mit dem auch die 1/1000 Sekunde realisierbar ist. Wem das wegen der langsamen Blitzsynchronzeit nicht gefällt, der kann die Kamera mit dem Distagon 4/80 mm bestücken, einem speziellen Zentralverschlußobjektiv, mit dem sich die Blitztauglichkeit der Kamera dank integrierter TTL-Blitzlichtmessung auf der Filmebene erst so richtig auskosten läßt.
Dank der besonders Wechselobjektiv-freundlichen kameraseitigen Schlitzverschluß-Konstruktion verfügt die SL 66 SE über ein enorm großes Brennweitenspektrum: vom Carl Zeiss F-Distagon 4/30 mm, einem Fisheye mit 180 Grad Bildwinkel, bis hin zum 1000-mmSpiegeltele N-Mirotar. Zum Vergleich die 6008: 40 bis 500 Millimeter Brennweite.
Der Fotograf kann bei der SL 66 SE zwischen der gewichteten Integralmessung und der Spotmessung wählen, wobei die gewichtete Integralmessung eigentlich eine Multi-Spotmessung darstellt: Neben der zentral gewichteten Siliziumzelle werden vier weitere Meßzellen zugeschaltet, die auf verschiedene Punkte im Meßfeld ausgerichtet sind. Das erfreuliche Resultat dieser aufwendigen Integralmessung liegt in der stärkeren Gewichtung des unteren Bildfelds und darin, daß durch den Lichtschachtsucher einfallendes Fremdlicht weitgehend kompensiert wird.
Erstmals wurde bei der SL 66 die Unterbringung des Schiebers während des Fotografierens auf verblüffend einfache Weise sauber gelöst: Er verschwindet bei Nichtgebrauch einfach in einem hinteren Fach des Magazins. Durch die Magazine selbst erübrigt sich eine manuelle Übertragung der Filmempfindlichkeit auf die Kamera, dies geschieht automatisch. Der Belichtungsabgleich wird über eine Leuchtdiodenkette im Sucher nach dem mit Verschlußzeit und Blende gekuppelten Nachführprinzip vorgenommen. Mit Hilfe eine Korrekturschalters auf der Oberseite der Objektivstandarte kann der Fotograf Belichtungskorrekturen von plus/ minus 1,5 Lichtwerten in halben Blendenstufen vornehmen.
Der gemessen am Ausstattungskomfort hohe Preis und die größen- und gewichtsbedingte Unhandlichkeit der SL 66 SE lassen zunächst wenig Raum für spontane Begeisterung, doch mit jeder Belichtung wächst die Freundschaft. Zu Unrecht steht diese Kamera im Schatten der technisch extrovertierteren 6008. Die SL 66 SE ist eine Kamera für die gestaltende Mittelformatfotografie.
Der 6008 Professional gelingt es dagegen auf Anhieb, Begeisterung zu wecken. Das liegt nicht nur an ihrer äußeren und inneren Modernität, sondern auch an der Art, wie sie sich in die Hand nehmen und bedienen läßt. Mit ihrem eingebauten Motor, der es auf maximal zwei Bilder pro Sekunde bringt, ist sie ganz und gar die schnelle Action-Kamera. Das lästige Einfädeln des Rollfilms entfällt dank Filmvorspulautomatik; der Motor besorgt auch das selbständige Aufspulen nach der Belichtung der letzten Aufnahme.
Das Datenblatt der Rolleiflex 6008 liest sich wie das einer modernen Kleinbild-Spiegelreflexkamera. Neben der in Rolleis 6000er Kamerareihe schon lange vorhandenen Blendenautomatik kann der Fotograf noch zwischen einer Programmautomatik mit Kurzzeitpriorität, einer Zeitautomatik und dem manuellen Nachführprinzip wählen.
Auch die Möglichkeiten der Belichtungsmessung fielen bei der 6008 so üppig und raffiniert im Detail aus wie bei keiner anderen Mittelformatkamera. Neben der mittenbetonten Mehrzonenmessung, die mit nicht weniger als sieben Silizium-Fotoelementen arbeitet, stehen dem Fotografen noch die Spotmessung mit einem knappem Meßwinkel von drei Grad sowie die Multispotmessung für die Bewältigung lichttechnisch schwieriger Motive mit hohen Kontrasten zu Verfügung. Die Multispotmessung eignet sich übrigens auch hervorragend für die Lichtanalyse eines Motivs, denn der Mikroprozessor in der Rolleiflex 6008 ist sogar in der Lage, fünf verschiedene Belichtungswerte von ausgefallenen Licht- und Schattenpartien zu messen, zu speichern und daraus den Mittelwert zu bilden.
Dieser außerordentlich hohe Belichtungskomfort wird von einer Belichtungskorrekturmöglichkeit von -4 2/3 EV bis +2 EV in drittel Blendenstufen ergänzt. Wem das immer noch nicht reicht, um zu perfekt belichteten Bildern zu gelangen, der kann das Bildergebnis noch durch eine Belichtungsreihenautomatik variieren. Alle wichtigen Kamerafunktionen werden im Sucher durch Leuchtdioden angezeigt, darunter die von der Kamera gewählten Verschlußzeiten oder Blendenwerte.
Im Gegensatz zur nach wie vor im Programm befindlichen Rolleiflex 6006 Modell 2, die nur 400 Mark billiger ist als die deutlich besser ausgestattete 6008, bietet das Spitzenmodell der 6000er Serie ein Wechselmagazin mit einstellbaren ISO-Werten. Mehrfachbelichtung und Spiegelarretierung gehören bei den beiden Kameras ebenso zum Ausstattungsumfang wie das geniale Laminarrollo, das für den Magazinwechsel einfach heruntergeschoben wird und den Magazinschieber herkömmlicher Art verbannt.
Neben dem lauten Betriebsgeräusch fällt als weiteres Handicap der 6008 die völlige Energieabhängigkeit ins Gewicht. Sie wird allerdings durch die sehr gute Akku-Ladegerät-Kombination - die obendrein durch bis zu 1000 Ladezyklen das Prädikat umweltfreundlich verdient entschärft wird. Schon nach zehn Minuten Schnelladung steht ausreichend Strom für mehrere Filme zur Verfügung. Ein zweiter Akku ist bei einer solchen Kamera ein Muß, um ein Versagen wegen Strommangel sicher auszuschließen.
Ganz anders verhält sich in diesem Punkt die SL 66 SE. Ihr mechanisch gesteuerter Schlitzverschluß ist völlig batterieunabhängig, lediglich die Belichtungsmessung ist auf Stromzufuhr per Knopfzellen angewiesen. Der Zentralverschluß der 6008 wird dagegen von Linearmotoren auf elektromagnetischem Wege gesteuert; sein Vorzug liegt in der enorm kurzen Blitzsynchronisation, die sogar die kürzeste Verschlußzeit von 1/500 Sekunde zum Blitzen zuläßt.
In der fotografischen Praxis unterscheiden sich die beiden Kameras aus gleichem Hause ebenfalls deutlich. Während man mit der Rolleiflex 6008 trotz zahlreicher, aber logisch angeordneter und leicht begreifbarer Bedienungselemente auf Anhieb zurechtkommt und die Kamera den Fotografen geradezu herausfordert, die üppig gebotene Technik auch anzuwenden, setzt der richtige Umgang mit der Rolleiflex SL 66 SE das Studium der Bedienungsanleitung voraus. Schon die Fokussierung per Triebknopf statt am Objektiveinstellring erfordert ein Umdenken, das Filmeinlegen entpuppt sich als übungsbedürftig, und die sichere Haltung der schweren Kamera will besonders bei ausgefahrenem Balgen gelernt sein. In der Bildqualität sind sich die ungleichen Geschwister aus Braunschweig dann wieder einig. Beide Kameras liefern exakt belichtete, gestochen scharfe Bilder. Wer allerdings meint, die 6008 professional animiere wegen ihres Motors zum Durchjagen der teuren Rollfilme, dem sei gesagt, daß auch diese Kamera in der Hand eines disziplinierten und erfahrenen Fotografen den typischen Vorteil einer Mittelformatkamera nicht vergessen läßt, nämlich die Erziehung zur bewußteren Fotografie durch den Lichtschachtsucher.
Die beiden Rollei-Kameras 6008 und SL 66 SE entpuppen sich in der fotografischen Praxis als grundverschieden. Die Stärke der 6008 liegt eindeutig in der Fotografie draußen, wo schnelle Lichtwechsel mit häufig wechselnden Standorten einhergehen. Mode- und Actionfotografie sind ihre Domänen. Das Objektivangebot ist vom Brennweitenumfang her kleiner als bei der SL 66 SE, dafür sind einige Objektive lichtstärker ausgelegt. Mit der SL 66 SE ist das beherrschbare fotografische Spektrum dank ihrer ausgeprägten Makrotauglichkeit eher größer, doch gibt sich die Kamera im Umgang komplizierter. Sie ist vor allem für das Studio geeignet. Hat der Fotograf entschieden, was er fotografieren will, dürfte bei einer solch klaren Abgrenzung dieser nur im Prinzip ähnlichen Kameras die Wahl nicht schwerfallen.
Vorzüge der SL 66 SE gegenüber der 6008
größeres Brennweitenspektrum
bessere Makrotauglichkeit
Nahaufnahmen ohne Zubehör möglich
batterieunabhängig
schnellerer Schlitzverschluß
leises Arbeitsgeräusch
Planfilmrückwand für Einzelaufnahmen lieferbar
Schärfendehnung und Perspektivkontrolle möglich
eher eine Studiokamera
Vorzüge der 6008 gegenüber der SL 66 SE
leichtere Bedienung
wesentlich mehr
Belichtungsfunktionen
eingebauter Motor
umfangreicheres
Systemzubehör
lichtstärkere Schneider-Objektive
kurze Blitzsynchronisation
besser für bewegte Motive/Außenaufnahmen geeignet
deutlich größerer
Langzeitenbereich, automatisch bis 30 Sekunden
Gemeinsamkeiten
hervorragende Bildqualität
zwei verschiedene Bildformate (4,5x6 und 6x6)
Sofortbilder mit Polaroid-Ansatz möglich
sehr gute Material- und Verarbeitungsqualität
Zeiss-Objektivsortiment: populäre Brennweiten ähnlich, aber nicht kompatibel
Schärfentiefenkontrolle
Spiegelvorauslösung
ISO-Eingabe am Magazin
TTL-Blitzsteuerung
Spotmessung
integrierte Belichtungsmessung
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